„Besser dran als Griechenland“

by Bettina Figl

Kein Gehalt, kein Roomservice: Die rund 100 Mitarbeiter des „Holiday Inn“ in Nikosia streiken.

Der Ausschluss Zyperns aus der Euro-Zone würde „europäisches Projekt zerstören“, sagt Andreas Theophanous, Ökonomieprofessor an der Uni Nikosia.

2012 war kein gutes Jahr für Zypern. Die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) hat die Bonitätsnote auf „B“ herabgestuft, damit hat Zypern bei S&P die zweitschlechteste Note aller Länder der Euro-Zone verpasst – gleich nach Griechenland.

Dieser Artikel ist am 09.11.2012 in der „Wiener Zeitung“ erschienen.

Als Grund für die Entscheidung gab die Agentur an, die Regierung habe bis jetzt noch kein Hilfspaket mit der Troika aus EU, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank (EZB) ausgehandelt. Bereits Ende Juni hatten die internationalen Geldgeber Zypern ihre Unterstützung zugesichert, seit Freitag wird wieder verhandelt.

30 Prozent ohne Arbeit
Spaziert man durch die Innenstadt der Hauptstadt Nikosia, wirkt es als wäre die Krise bei den Menschen noch nicht angekommen: Menschen mit Einkaufstaschen spazieren auf der Ledrastraße, die Tavernen sind gut besucht. Doch ein paar Ecken weiter haben sich vor dem Holiday Inn Menschen mit Transparenten und Megafonen versammelt: Seit Monaten haben die rund 100 Mitarbeiter des Hotels kein Gehalt mehr bekommen, weshalb sie streiken – die Touristen müssen ohne Zimmerservice auskommen.

Kein Gehalt oder gar keine Arbeit: Für die Insulaner ist dies eine neue Situation, bislang ging es mit ihrer Wirtschaft immer nur bergauf. Die Arbeitslosenquote liegt inzwischen bei elf Prozent; von den jungen Zyprern sind schon fast 30 Prozent ohne Job. In Anbetracht des aufgeblähten öffentlichen Dienstes, in dem die Bezahlung im Schnitt doppelt so hoch ist wie in der Privatwirtschaft, wundert das kaum. Doch trotz Bankenkrise blieben Spar- und Reformanstrengungen der Regierung in Zypern bisher aus. Laut S&P sollen die Präsidentschaftswahlen im Februar 2013 für das Zögern der Regierung verantwortlich sein.

Das Land ist auch aufgrund der engen Verflechtungen des Bankensektors mit jenem Griechenlands in Schwierigkeiten geraten. „Wir sind besser dran als Griechenland“, betont jedoch Andreas Theophanous, Professor für politische Ökonomie an der Universität Nikosia, in der „Wiener Zeitung“. Und auch die Bedenken, die EU könne an dem kleinen Zypern ein Exempel statuieren und es aus der Euro-Zone ausschließen, versucht er auszuräumen: „Das ist eine Wunschvorstellung. Das größte Problem der EU ist Mangel an Solidarität.“ Falls es dennoch zum Ausschluss aus der Euro-Zone kommen sollte, würde dies „das Europäische Projekt zerstören“, sagt Theophanous.

Mitschuld an der ökonomischen Misere des Landes trägt die Explosion des Kraftwerks Vassilikos, bei der im Sommer 2011 zwölf Menschen starben. In den explodierten Containern befanden sich illegale Waffen aus dem Iran, die für Syrien bestimmt waren. Den Schaden schätzt Theophanous auf zwei Milliarden Euro, und sagt: „Man lässt explosives Material nicht einfach offen herumstehen, das war ein Versagen der Politik.“ Er kritisiert, dass es keinerlei politische Konsequenzen gab. Eine scheint es jedoch zu geben: Präsident Dimitris Christofias tritt bei den Wahlen 2013 nicht mehr an. Offiziell schiebt er jedoch die gescheiterten Gespräche zur Wiedervereinigung Nord- und Südzyperns vor.

Manche Kommentatoren schrieben damals, das Unglück hätte zumindest den Norden und den Süden einander näher gebracht, da der Norden bei der Stromversorgung dem Süden unter die Arme griff. Mehmet Talat, Ex-„Präsident“ Nordzyperns, sieht das anders, wie er im Gespräch mit der „Wiener Zeitung“ erklärt. Talat zitiert Chrysostomos, das Oberhaupt der orthodoxen Kirche, dessen Kommentar lautete: „Bevor wir Elektrizität aus dem Norden annehmen, zünden wir lieber Kerzen an“.

Der ewige Konflikt
Die Fronten sind also nach wie vor verhärtet, von einer Annäherung im Zypernkonflikt ist man so weit entfernt wie nie zuvor. Und während es mit der Wirtschaft im griechischen Süden der Insel bergab geht, machen dem vom internationalen Handel abgeschnittenen Nordzypern hohe Frachtkosten und fehlende öffentliche und private Investitionen seit Jahrzehnten zu schaffen. Der Ausschluss aus der EU-Handelszone verhindert Wachstum; viele junge Menschen sehen sich gezwungen, die Insel zu verlassen.

Direkt nach der Schule gehen sie nach England oder in die Türkei. Das Studium dort ist leistbarer, zudem wird der nordzypriotische Uni-Abschluss nur von der Türkei anerkannt. Viele bleiben nach der Uni im Gastland. Arda Nasiboglu macht seinem Ärger Luft und sagt: „Wir haben den Konflikt satt, und dass die EU nichts macht und jetzt im Süden den EU-Vorsitz hat, macht mich wütend.“

Der 35-jährige Lehrer ist einer jener, die im Land geblieben sind, hat aber wie viele Nord-Zyprioten längst den Glauben an die Politik und eine Lösung des Konflikts verloren. So auch Erkan Akin: „Alle Politiker sind korrupt“, sagt der 27-jährige Autohändler. Sein britischer Akzent verrät, dass auch er einige Jahre in England verbracht hat.
Er kehrte zurück, heute führt er den Familienbetrieb in der dritten Generation fort. Und in seiner Autohalle hängt nicht, wie so häufig in Nordzypern, das Porträt von Atatürk, dem Staatsgründer der Türkei, sondern das von seinem Großvater.

Information
Zur Zweiteilung Zyperns kam es 1974, als türkische Truppen als Reaktion auf den Versuch griechisch-zypriotischer Nationalisten, die Insel mit Griechenland zu vereinigen („Enosis“), den Norden besetzten. Seither ist Zypern als einziges europäisches Land zweigeteilt: Offiziell ist die gesamte Insel seit 2004 Teil der EU. Der Norden macht etwa 36 Prozent der Insel aus und wird von türkischen Truppen okkupiert (derzeit etwa 50.000 Soldaten). Hier findet EU-Recht keine Anwendung. Der ungelöste Zypern-Konflikt ist Grund dafür, dass die Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der EU auf Eis gelegt sind. im okkupierten Teil. Dieser Artikel ist im Rahmen des EU-Projekts „Eurotours“ entstanden.