Das Corona-Bootcamp

by Bettina Figl

Menschen, die eine Covid-Erkrankung hinter sich haben, leiden oft unter Langzeitfolgen wie Atemnot oder Erschöpfung. Ein Erfahrungsbericht zur Lungen-Reha in Wien-Oberlaa.

Eine Minute kräftig strampeln, eine Minute gemütlich radeln. Ich sitze am Ergometer, versuche durch die bodentiefe Fensterfront in die Ferne zu schauen, doch mein Unterbewussten trickst mich aus und mein Blick bleibt wieder an denselben drei Punkten hängen: Würstelstand, Kurkonditorei, und an den vielen Zahlen am Display, die mir Umdrehungen pro Minute, Watt und verbrannte Kalorien anzeigen. Immer wieder sehen Physiotherapeuten nach mir, messen meine Sauerstoffsättigung und kontrollieren meinen Puls. Nach 30 Minuten am Rad ist das Ausdauertraining geschafft und ich bin es, schweißüberströmt, auch.

Diese Reportage ist am 21.12.2020 in der Wiener Zeitung erschienen.

Seit Wochen bin ich Stammgast in Oberlaa in Favoriten; in der Therme Wien Med nehme ich an einer Lungenrehabilitation für Post-Corona-Patienten teil. Und das, obwohl ich schon im März 2020 an Covid-19 erkrankt bin. Der „milde Verlauf“ äußerte sich in meinem Fall in Form von starken Hals- und Ohrenschmerzen, Schnupfen und einer bleiernen Abgeschlagenheit. Husten und Fieber hatte ich nicht. Ich habe mich isoliert, zu Hause auskuriert, und nach etwa drei Wochen ging es mir besser. Zuerst dachte ich noch „jetzt habe ich es wenigstens hinter mir“. Doch ich hatte mich zu früh gefreut; auch Monate nach der Erkrankung hat sich mein Immunsystem nicht erholt, ich hatte einen grippalen Infekt nach dem anderen.

Früher, es kommt mir vor wie in einem anderen Leben, habe ich viel Yoga gemacht, bin regelmäßig laufen gegangen, auch ein Halbmarathon war dabei. Nach meiner Corona-Erkrankung war ich froh, wenn ich nach einer halben Stunde Laubrechen nicht völlig k.o. war. Auch beim Stiegensteigen ging mir die Luft viel schneller aus als früher, und mein Herz pochte so schnell und laut, dass ich kurz dachte, in meinem Körper würde eine Technoparty stattfinden. Das klingt vielleicht witzig. War es aber nicht. Es ist frustrierend und zermürbend, wenn man sich über Monate nicht richtig gesund fühlt. Nach sechs Monaten in diesem zombiehaften Zustand vereinbare ich ein ärztliches Beratungsgespräch bei Dr. Zwick, der die Lungen-Reha in Oberlaa leitet. Da Post-Covid-Patienten vorgereiht werden, beginne ich schon bald darauf mit der Rehabilitation.

Drei Wochen auf der Intensivstation

Vor kurzem zeigte eine Schweizer Studie, dass ein Drittel der Covid-19-Patienten mit milden Verläufen auch noch Wochen nach der Diagnose unter Symptomen leidet. Bei der Reha in Oberlaa stelle ich fest: Es geht nicht nur mir so, die meisten hat das Virus viel schlimmer erwischt als mich. Zwei Ergometer entfernt strampelt ein 58-jähriger Mann mit weißen, kurzen Haaren, die Arme voller Tattoos. Er ist so wie ich im März erkrankt, war aber drei Wochen lang auf der Intensivstation und musste intubiert werden. Wie alle Post-Covid-Patienten, die ich in Oberlaa treffe, hatte er keine Vorerkrankungen, ist schlank und wirkt sportlich.

Ein Pulsoxymeter ist während der Corona-Erkrankung wichtig. Fällt die Versorgung mit Sauerstoff ab, sollte man die Rettung rufen. – © Ulrich Fürlinger

Doch auch er leidet bis heute unter Langzeitfolgen, klagt über Atemnot und chronische Erschöpfung. Er ist inzwischen in der dritten Reha-Phase, bei der das Training zweimal pro Woche stattfindet, maximal ein halbes Jahr lang. Ich bin noch in der intensiveren „Phase Zwei“ und trainiere sechs Wochen lang dreimal pro Woche. Gestartet wird jeweils mit dem Atemmuskeltraining. Die Tische sind mit Plexiglasscheiben getrennt, bald weiß ich warum: Das kräftige Ein- und Ausatmen durch den Schlauch ist alles andere als eine Trockenübung, Papiertaschentücher dienen als provisorischer Spucknapf, nach dem Training an dem Atemgerät wird der Platz eigenhändig desinfiziert.

Mucki-Bude unter ärztlicher Supervision

Nach einer kurzen Verschnaufpause geht es weiter in den Fitnessbereich, ich komme mir vor wie in einer Mucki-Bude unter ärztlicher Supervision, aber statt nach Schweiß riecht es nach Desinfektionsmittel. Die Patienten säubern die Geräte nach Verwendung und tragen Maske. Der Trainingsplan wird individuell zusammengestellt. Auf meinem Plan stehen unter anderem „Dead Lifts“ (der Name ist übrigens weniger makaber, als man meinen könnte, er kommt von „totem Gewicht“), plangemäß stemme ich zehn Kilo mit der Langhantel, gefolgt von einer halben Stunde an besagtem Ergometer. Danach kommt das Dehnen, Mobilisieren und Balancieren in der Bewegungsgruppe. Nach den ersten beiden Tagen plagt mich ein Ganzkörpermuskelkater und ich taufe die Reha insgeheim in „Corona-Bootcamp“ um. „No pain, no gain“ würden Fitnessgurus dazu wohl sagen.

Proteine, Proteine und noch mehr Proteine

Nachmittags gibt es dann Futter fürs Hirn, in Form von Schulungen. In der Atem-Stunde lernen wir, wie man mithilfe der Lippenbremse auch in Stresssituationen noch Luft bekommt, die Diätologin rechnet uns aus, wie viele Proteine wir zu uns nehmen sollen, um wieder fit zu werden (die Kurzversion: sehr viele) und verrät uns, welches Mineralwasser das meiste Magnesium enthält. Eine Psychologin erklärt, wie man es schafft, aus physikalisch verursachten Angstspiralen auszusteigen.

Im Grunde absolvieren Post-Covid-Patienten ein sehr ähnliches Programm wie Asthma- und COPD-Patienten. In Oberlaa, wo seit jeher das „Respifit“-Trainingsgerät zur Steigerung der Atemkraft verwendet wird, hat sich dieses bewährt. Auch in meinem Fall macht sich nach nur wenigen Einheiten ein Muskelkater zwischen den Rippen bemerkbar; er ist ein erstes Anzeichen dafür, dass die Muskulatur wächst und das Zwerchfell kräftiger wird. „Studien haben gezeigt, dass man bessere Erfolge erzielt, wenn man Atmung, Kraft- und Ausdauer gemeinsam trainiert“, sagt Ralf Harun Zwick, Lungenfacharzt und Leiter der Lungen-Reha in Oberlaa, wo seit dem Sommer Post-Covid-19-Patienten betreut werden. Auf die Frage nach den Reha-Kosten sagt Zwick: „Das darf nichts kosten. Da bin ich Kommunist.“

Es kostet natürlich schon etwas, aber die Kosten werden zur Gänze von der Krankenkasse übernommen. Während des ersten Lockdowns im Frühjahr war Oberlaa wie die meisten Reha-Anstalten geschlossen. In dieser Zeit wurde das Sicherheitskonzept angepasst. Um die Abstandsregeln einhalten zu können wurde der Fitnessbereich räumlich erweitert, schon bald soll auf 500 Quadratmetern ein neuer, moderner Fitnessraum zur Verfügung stehen. In der Zwischenzeit wurden die Gruppen verkleinert, ein Teil absolviert nun bei (fast) jedem Wetter ein Outdoor-Training im Kurpark Oberlaa. „Ich wollte schon lange ein Outdoor-Training, aber es hieß immer, das sei nicht möglich. Dann kam Corona, und plötzlich war es möglich“, erzählt Zwick.

Beim Outdoor-Training nehmen wir den Mund- Nasenschmutz ab, und man kommt leichter ins Gespräch. Ich treffe auf Hans Stern*, der sich in der ersten Septemberwoche mit Covid-19 infiziert hat. Bei ihm machte sich das Virus zuerst mit Halsweh und Schnupfen bemerkbar, nach einigen Tagen kamen hohes Fieber und der typische Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn hinzu. Da ahnte er schon, am Coronavirus erkrankt zu sein. Ein PCR-Test bestätigte seine Vermutung. Seine Nachbarin ist Apothekerin und besorgte ihm einen Pulsoxymeter, um die Sauerstoffsättigung zu messen. Als diese auf 85 Prozent abfiel, rief er den Ärztefunkdienst an und wurde sofort ins Krankenhaus gebracht, wo er zwei Wochen lang bleiben musste. Zwei Tage davon lag er auf der Intensivstation, wo er neben High Flow Sauerstoff und Cortison auch Remdesivir.

Das Virus ist heimtückisch

Selbst hätte er gar nicht bemerkt, wie schlecht es ihm eigentlich ging, wie er erzählt: „Ich war nach der ersten Nacht im Krankenhaus gerade dabei, mein Rucksack auszuräumen, als die Pfleger hereinstürmten und mich aufgrund meiner schlechten Werte auf die Intensivstation verlegten. Das Virus ist heimtückisch, es trickst den Wirten aus“. Während seiner Erkrankung hat der von Haus aus schlanke Mann zehn Kilo abgenommen. „Bei der Entlassung fühlte ich mich wie ein 90-Jähriger, jetzt – nach drei Wochen Reha – wie ein rüstiger 65-Jähriger“, erzählt der 44-Jährige. Heute geht es ihm wöchentlich besser, der Manager tut aber auch einiges dafür: Eine Woche nach der Entlassung aus dem Krankenhaus begann er sein Training, indem er eine Runde um das Haus ging. Inzwischen kann er fünf Kilometer langsam laufen, doch sein Puls schießt immer noch in die Höhe und senkt sich nur langsam ab. Das Training in Oberlaa gibt ihm sein Selbstbewusstsein zurück, wie er erzählt. Sein Ziel ist es, dass er so wie vor seiner Erkrankung zwei Stunden Tennisspielen und zehn Kilometer durchlaufen kann – wenn auch in einem langsameren Tempo als zuvor.

Fast alle leiden unter chronischer Erschöpfung

Davon ist er noch weit entfernt, denn allein die Bewältigung des Alltags ist eine Herausforderung. Am meisten zu schaffen machen ihm Konzentrationsstörungen, Erschöpfung und Müdigkeit: „Nach einer halben Stunde kann ich Meetings nicht mehr folgen. Ich brauche jeden Tag einen Mittagsschlaf, obwohl ich noch nie zu Mittag geschlafen habe, und abends gehe ich vor meinen Kindern ins Bett.“ Dieses Phänomen der chronischen Erschöpfung nennt sich „Fatigue“, fast alle Post-Covid-Patienten leiden darunter.

So auch Ali Demir*, 33 Jahre alt. Er erzählt mir, dass er früher oft laufen war, zehn Kilometer und mehr, regelmäßig trainierte er im Fitnessstudio. Im August ist er dann am Coronavirus erkrankt. Als er plötzlich hohes Fieber und nur noch schwer Luft bekam, wurde er zur Beobachtung ins Spital gebracht und nach zwei Tagen wieder entlassen. Zuerst versteht der Angestellte nicht, warum er auch nach seiner Genesung bei leichter Belastung an Atemnot leidet. Er geht zur Lungenfachärztin und diese stellt fest, dass die Leistungsfähigkeit seiner Lunge bei nur 80 Prozent liegt und empfiehlt ihm, mit eine Reha zu beginnen. Heute ist der 33-Jährige immer noch auf Medikamente angewiesen; wenn er einmal auf seinen abendlichen Cortisonspray vergisst, wacht er nachts mit Atemnot auf.

„Man sollte Corona nicht verharmlosen“

„Die Therapeuten tun ihr Möglichstes, es ist halt ein Prozess“, sagt Demir, aber man merkt dem jungen Mann an, dass es ihm langsam reicht. Hat sich seine Einstellung zu dem Virus verändert? „Ja, ich habe Corona definitiv unterschätzt, ich hätte nicht gedacht, dass es mich so erwischt. Man sollte Corona nicht verharmlosen.“ Das kann ich unterstreichen. Noch während ich meine Corona-Erkrankung in Heimquarantäne auskuriert habe, dachte ich, dass man sich, wenn man jung und fit ist, vor dem Coronavirus nicht fürchten muss. Doch die Bekanntschaft mit anderen Reha-Patienten haben mich eines Besseren belehrt.

Und meine eigene Erfahrung zeigt mir, dass man selbst nach einem milden Verlauf mitunter nicht mehr so leistungsfähig ist wie vorher. Doch die Reha wirkt. Bei meiner Abschlussuntersuchung zeigt sich: die Verengung der Bronchien ist verschwunden, innerhalb von sechs Wochen hat sich meine Atemleistung verdoppelt. Ich fühle mich kräftiger, und war während der Reha – anders als in jedem anderen Monat seit Februar – kein einziges Mal krank. Beim Stiegensteigen komme ich zwar nach wie vor leicht außer Atem, doch bei den Techno-Partys in meinem Herzen geht es schon gemütlicher zu. Es hilft wohl nur eines: dranbleiben.

Info: Neben der Therme Wien Med bietet OptimaMed eine ambulante pumologische Rehabilitation für Post-Covid Patienten in Wiener Neustadt an, sowie eine stationäre Post-Covid-Reha im Reha-Zentrum Raxblick, die mit dem PVA-Rehazentrum in Hochegg konzipiert wurde. Auch die stationären Rehabilitationszentren der PVA in Weyer und in Wien-Floridsdorf behandeln Post-Covid-Patienten, zudem gibt es mit „Mein Peterhof“ in Baden bei Wien eine stationäre Post-Covid-Reha der ÖGK. Für eine solche Reha benötigt man einen positiven Corona-Test und eine Bewilligung der Krankenkasse.

*Namen von der Redaktion geändert