Eine Schule, nicht wie damals

by Bettina Figl

(c) Stanislav Jenis

(c) Stanislav Jenis

Mehr als Landwirt: Ausbildung und späteres Betätigungsfeld der Bauern sind breiter geworden – doch Betriebs- und Haushaltsmanagement bedienen nach wie vor konservative Rollenmuster
In der Ferne drehen sich Windräder im Kreis, grüne Felder, so weit das Auge reicht. Aus den Stallungen ertönt Stiergebrüll. Während Schüler anderswo ihre Pausen in grauen Schulhöfen verbringen, erstreckt sich das Gelände der landwirtschaftlichen Fachschule (LFS) in Obersiebenbrunn auf knapp 50 Hektar: Apfelbäume säumen die Wege, auf den Feldern wächst so ziemlich alles, von Erdäpfel über Sonnenblumen bis hin zu Mais. Der Ort im Bezirk Gänserndorf ist eine halbe Stunde von Wien entfernt, für 160 Jugendliche hat hier vergangene Woche das neue Schuljahr begonnen.

Dieser Artikel ist am 8.9.2014 in der „Wiener Zeitung“ erschinen und hier nachzulesen.

Die Schule als Nah- und Selbstversorger
Die Hälfte von ihnen wohnt im Internat, das am Schulstandort angesiedelt ist. Einmal über die Straße gehen, und schon ist man mitten auf dem Bauernhof. Insgesamt leben hier 100 Rinder und 150 Schweine – doch die Fluktuation ist hoch, neben den Stallungen befindet sich ein kleiner Schlachthof und ein Ab-Hof-Laden: „So kurze Wege wie hier gibt es sonst nirgends“, erzählt Direktor Gerhard Breuer, und was die Schülerinnen und Schüler innerhalb des Unterrichts schlachten, landet auf dem Mittagsteller in der Schulkantine.

Die LFS Obersiebenbrunn ist quasi Selbstversorger: Nur beim Käse und beim Wein wird auf die Waren von anderen Landwirtschaftsschulen zurückgegriffen.

Der Unterricht ist – wie der bäuerliche Alltag auch – stark an die Jahreszeiten gebunden: Im Herbst und im Frühjahr wird geerntet und Gemüse zu Kompott oder Marmelade verarbeitet, im Winter liegt der Fokus auf der Theorie. Wenn es wie in diesem Sommer viel regnet, haben die angehenden Bauern mit denselben Problemen zu kämpfen wie erfahrene Landwirte: Die Felder sind zu nass, es kann nicht geerntet werden.

Die Schule wurde 1914 in Betrieb genommen, in der Gründerzeit wurde Invaliden aus dem Ersten Weltkrieg die Ausbildung kostenlos ermöglicht. Vor zwanzig Jahren wurde das Gebäude saniert. Doch bei allem Traditionsbewusstsein hat sich die Ausbildung der Landwirte nicht nur in Obersiebenbrunn, sondern in ganz Österreich stark verändert. Seit heuer findet der Unterricht an den LFS in Niederösterreich nicht in Gegenständen, sondern Modulen statt. „Der Gedanke dahinter war, den 50-Minuten-Takt aufzubrechen“, sagt Jürgen Mück von der Abteilung Landwirtschaftliche Bildung der niederösterreichischen Landesregierung.Landwirtschaftsschulen als Vorreiter im Bildungssektor?
Das wird von Bildungsexperten für das Bildungswesen generell seit langem gefordert – nehmen die Landwirtschaftsschulen hier eine Vorreiterrolle ein? Die Stunden in diesem System auf alle Lehrer gleichmäßig zu verteilen, stelle die Schulleiter vor eine große bürokratische Herausforderung, räumt Mück ein. Derzeit werde das neue Modell noch erprobt.

Bereits etabliert hat sich, dass die Ausbildung zum Landwirt heute viel breiter aufgestellt ist als noch vor einigen Jahren. Vor 30 Jahren standen Englisch oder Betriebswirtschaft nicht am Stundenplan, heute sind diese Fächer nicht mehr wegzudenken. Nach der Schulzeit stehen den ausgebildeten Landwirten nun weit mehr Optionen offen als nur die Arbeit am Bauernhof. „Heute braucht ein Landwirt einen Nebenberuf, ein zweites Standbein. Und als ausgebildeter Handwerker kann er am Hof viel selbst errichten“, sagt Breuer. Denn nach der dreijährigen Ausbildung an einer LFS kann man sich innerhalb eines weiteren Lehrjahres beispielsweise zum Tischler, Zimmerer oder EDV-Techniker ausbilden lassen.

Die LFS Obersiebenbrunn ist heute nicht nur Selbst-, sondern auch Nahversorger: Die Schule beliefert Märkte mit Fleisch und Gemüse, Kindergärten und Schulen im Umkreis wird das fertige Mittagsmenü zugestellt. „Um im Hofladen einkaufen zu können, reisen Menschen mitunter 60 bis 70 Kilometern an“, erzählt Direktor Breuer. An der Schule findet Weiterbildung für Landwirte statt, etwa die einjährige Abendausbildung für Landwirte oder – seit heuer neu – den Lehrgang zum Fleischsommelier, der sich auf die Produktion und den Verkauf von hoch qualitativem Fleisch spezialisiert. Zu diesem Zweck werden auch rund 20 Wollschweine gezüchtet. Ihr Fleisch ist fetter und von der Gastronomie derzeit sehr gefragt, ihre Mästung dauert doppelt so lange wie jene herkömmlicher Schweine.

Keine Keimzelle einer progressiven Landjugend
Doch die Landwirtschaft und ihre Ausbildungszentren sind nach wie vor keine Keimzelle einer progressiven Landjugend. Generell stehen den Jugendlichen an den LFS zwei Zweige zur Verfügung: „Landwirtschaft“ und „Ländliches Betriebs- und Haushaltsmanagement“. Zwar ist das Geschlechterverhältnis an den Schulen mit circa 50:50 sehr ausgeglichen. Doch den Haushalts-Zweig besuchen nur 10 bis 20 Prozent Burschen, in der Landwirtschaft ist es genau umgekehrt. Mit Zusatzzertifikaten können sich die angehenden Haushaltsmanagerinnen, aber auch zur medizinisch-technischen Assistentin oder zur Kindergartenhelferin ausbilden lassen.

Im aktuellen Schuljahr kommt in der LFS Obersiebenbrunn im Landwirtschafts-Zweig gerade einmal eine weibliche Schülerin auf rund 99 Schüler. „Normalerweise sind es mehr Mädchen“, man sei durchaus auf eine Durchmischung der Geschlechter in beiden Zweigen bedacht, heißt es auf Anfrage in der niederösterreichischen Landesregierung. Die LFS Krems, an der Weinbau angeboten wird, oder die LFS Tullnerbach, die auf Pferdewirtschaft und Soziale Dienste spezialisiert ist, sind bei jungen Frauen beliebter. Doch inwiefern eine Ausbildung, bei der „Haushaltsmanagement und Textildesign“ auf dem Stundenplan steht – hier stehen die Tischdekoration und Nähen im Mittelpunkt – oder die „Baby-Fit-Ausbildung“ gemacht werden kann, auch junge Männer anspricht, ist fraglich. Und die auf Ackerbau spezialisierten Fachschulen bieten im Frei- oder Wahlfach den Jagdschein, Traktorführerschein oder Staplerschein an, hier sind Mädchen traditionell in der Minderheit.Die Hälfte der Jugendlichen kommt aus bäuerlichen Betrieben, 50 Prozent der Absolventen gehen in diesen zurück, je ein Viertel macht anschließend die Matura. Am liebsten wäre es Breuer, wenn seine Schüler in Obersiebenbrunn maturieren könnten – doch es ist eine Landesschule, und nur höhere Bundeslehranstalten dürfen die Matura anbieten. Erst nach der Fachschule können die Jugendlichen eine dreijährige höhere Schule für landwirtschaftliche Berufe besuchen und erreichen somit innerhalb von sechs Jahren die Matura. Oder sie legen die Berufsreifeprüfungen ab, die ihnen ebenfalls den Zugang zu einem Studium an einer Universität oder Fachhochschule ermöglicht. Vor allem die Prüfungen seien derzeit sehr gefragt und stark überlastet, sagt Mück – Bedarf für noch mehr Durchlässigkeit bei den Schulformen dürfte es also geben.

Wissen
Im Schuljahr 2012/2013 besuchten knapp 13.000 Jugendliche eine Land- und Forstwirtschaftliche Mittlere Schule (LFS), fast 4000 Schülerinnen und Schüler besuchten eine Höhere Schule für Land- und Forstwirtschaft. Im Bereich der LFS gibt es in den vergangenen 20 Jahren ein Drittel mehr Schüler, was wohl auch damit zusammenhängt, dass die Ausbildung heute um vieles breiter aufgestellt ist – etwa haben viele Schulen einen sozialen Schwerpunkt und viele Zusatzzertifikate, womit die Absolventinnen und Absolventen im Anschluss auch soziale Berufe wie Kindergartenhelfer oder Altenpflegerin ergreifen können.