„Für mich war Schule eine transformative Erfahrung“

by Bettina Figl

Der US-amerikanische Bildungsminister John King über Studienkredite, frühkindliche Erziehung und wie Schule sein Leben rettete.

"Kürzungen der Staatsausgaben hatten zur Folge, dass Studieren teurer wurde. Diesen Kurs müssen die Bundesstaaten revidieren", sagt King.

John King beim Interview in Washington D.C.

Studienkredite waren ein viel diskutiertes Thema im Präsidentschaftswahlkampf. Präsident Barack Obama hat seinen Kredit bis 2004 zurückbezahlt, damals war er Senator im US-Staat Illinois. Haben Sie Ihre Uni-Schulden schon abbezahlt?

John B. King Jr.: Nein, noch nicht. Meine Frau und ich haben beide (unter anderen, Anm.) in Harvard studiert, und wir hoffen, dass wir die Schulden abbezahlt haben, bevor unsere Töchter ans College gehen.

Das Interview ist am 4.11.2016 in der „Wiener Zeitung“ erschienen.

Welche Maßnahmen haben Sie in diesem Bereich gesetzt?

Wir haben 60 Milliarden Dollar, die sonst Banken bekommen hätten, als Direktkredite an Studierende vergeben, Pell Grants (staatliche Stipendien für Bachelor-Studierende mit geringem Einkommen, Anm.) um über 1000 Dollar pro Stipendiat erhöht, es gibt Steuergutschriften, und Präsident Obama hat einkommensbezogene Rückzahlungen eingeführt (staatliche Kredite müssen nur bis zu maximal 10 Prozent des Jahreseinkommens zurückbezahlt werden – hat ein Absolvent den Kredit innerhalb von 20 Jahren nicht zurückgezahlt, werden die Schulden erlassen, Anm.)

Hillary Clinton will die Studiengebühren an öffentlichen Colleges und Community Colleges für Studierende mit niedrigem Einkommen abschaffen. Bis 2021 soll kein US-Amerikaner mit weniger als 125.000 Dollar Haushaltseinkommen an öffentlichen Unis Studiengebühren zahlen. Ist das realistisch?

Wir dürfen die Vorhaben der Präsidentschaftskandidaten nicht kommentieren. Was ich sagen kann: Kürzungen der staatlichen Investitionen im Bereich der öffentlichen Universitäten hatten zur Folge, dass Studieren teurer wurde. Diesen Kurs müssen die Bundesstaaten revidieren. Ein Vorschlag von Präsident Obama lautet, Studierenden mit niedrigem Einkommen die Studiengebühren für das zweijährige Community-College zu erlassen, der Gesetzesvorschlag braucht aber Zustimmung der Bundesstaaten. Einkommensbezogene Rückzahlungen haben großes Potential, junge Menschen bei der Bewältigung ihrer Schulden zu helfen.

Wieso können Unis die Studiengebühren jedes Semester erhöhen?

Unser System ist sehr dezentralisiert. Wir haben Privatcolleges, Board-Colleges und öffentliche Colleges, und alle legen ihre Studiengebühren eigenständig fest. Im öffentlichen Bereich ist manchmal der Gesetzgeber des Bundestaates involviert, manchmal Treuhänder. All diese Entscheidungen werden auf lokaler Ebene getroffen.

Durchschnittlich hat ein Studierender in den USA 37.000 Dollar Schulden. Ein Doktorand der Literaturwissenschaften hat mir erzählt, er habe 150.000 Dollar Schulden und Angst, er könnte, wenn er keinen Job findet, obdachlos werden. Ist das eine tatsächliche Gefahr?

Jeder entscheidet selbst, ob er eine teure Uni besucht oder nicht. Studierende an Privatunis haben meist höhere Schulden, finden nach dem Abschluss aber typischerweise gutbezahlte Jobs und können ihre Kredite abbezahlen. Oft sind jene, die ihren Kredit nicht zurückzahlen können, mit sehr kleinen Beträgen – im Schnitt weniger als 10.000 Dollar – überfällig. Schließt man die Ausbildung nicht ab, ist die Gefahr, in Kreditverzug zu geraten, dreimal so hoch. Wenn wir darauf fokussieren, öffentliche Ausbildung leistbar zu machen, dürfen wir nicht vergessen, auch den Studienabschluss im Auge zu haben.

Im neu eröffneten National Museum of African American History heißt es in einem Video „Wir lernen nicht über Ethnizität in der Form, in der wir es lernen sollten“. Wie kann das sein?

Entscheidungen bezüglich Lehrplan treffen die Schulbezirke, und wir haben 40.000 davon. Der Staat setzt nationale Standards für Fächer wie Sozialkunde, in dem afro-amerikanische Geschichte und die Bürgerrechtsbewegung besprochen werden. Ich war selbst Sozialkundelehrer und mir ist es wichtig, dass Schüler mehr über Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe oder Herausforderungen in der Beziehung zwischen Polizei und Bürgern, und deren geschichtlichen Kontext, lernen. Was Schüler lesen, ist ebenfalls sehr wichtig, doch die Entscheidung, welche Bücher gelesen werden, treffen die Schulen.

Sie erzählen oft, Lehrer an öffentlichen Schulen hätten Ihr Leben gerettet. Wie das?

Ich bin in Brooklyn in New York aufgewachsen. Meine Mutter starb, als ich acht Jahre alt war, mein Vater starb, als ich 12 Jahre alt war. „Zuhause“ war immer ein unsicherer, instabiler, angstbehafteter Ort für mich. Während dieser Zeit hatte ich einige Jahre denselben Lehrer, wir lasen jeden Tag die „New York Times“, haben die Theaterstücke Mittsommernachtstraum und Alice im Wunderland aufgeführt, das Nationale Geschichtsmuseum besucht. Ich fühlte mich in der Schule aufgehoben, eingebunden und herausgefordert, sie hat mir Hoffnung für eine positive Zukunft gegeben. Für mich war Schule eine transformative Erfahrung.

Was sind die größten Herausforderungen für Ihren Nachfolger?

Er oder sie kann auf unsere Erfolge aufbauen: Noch nie gab es so viele High School-Absolventen wie heuer, 83 Prozent, denn wir haben weniger afro-amerikanische und lateinamerikanische Schulabbrecher. Mehr Menschen gehen ans College, davon eine Million Afro-Amerikaner und Latinos, nie zuvor waren die Uni-Absolventen so divers wie in diesem Jahr. Eine Herausforderung ist die frühkindliche Erziehung: 40 Prozent der 4-Jährigen besuchen derzeit öffentliche Kindergärten, das müssen wir das auf 3-Jährige ausweiten. Präsident Obama will Gratis-Kindergarten für alle für Kinder aus Familien mit mittlerem und geringem Einkommen, doch der Kongress hat diesen Vorschlag noch nicht kommentiert. Die nächste Regierung hat die Möglichkeit, daran weiterzuarbeiten. Es gibt ein neues Gesetz, das garantieren soll, dass Kinder mit besonderem Förderanspruch gefördert werden. Die Bundesstaaten haben die Aufgabe, dieses neue Gesetz mit Fokus auf Gerechtigkeit und Exzellenz in den nächsten Monaten umsetzen. Die Erfolge werden wir daran messen, ob wir die Lücke zwischen leistungsstarken und -schwachen Kindern verringern konnten.

Information

John B. King Jr., 41, ist der erste afro-amerikanische und puerto-ricanische Bildungsminister der USA. Zuvor war er seit 2011 Bildungskommissar des US-Staats New York. Er war Direktor einer High School in Brooklyn und Gründer einer Charter Schule in Massachusetts. Seine Karriere im Bildungssektor begann er als Sozialkundelehrer in San Juan, Puerto Rico, und Boston, Massachusetts. Er hat in Columbia, Harvard und Yale studiert und lebt mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern in Maryland.