Gänseblümchen suchen Bleibe

by Bettina Figl

Kaffeebohnen mahlt Martin Pell von Hand, auch sonst wirkt der Lebensstil der „Gänseblümchen“ wie aus einer anderen Zeit: Sie suchen einen Platz, auf dem sie parken und wohnen können. (c) Andreas Pessenlehner

Minutenlang stand eine Frau einfach nur fassungslos da und starrte die bunten Wägen an, bis sie sagte: „Das geht ja nicht, das ist ja verboten“, erzählt Hans Freitag von der Wagenplatz-Gruppe Gänseblümchen. Es ist ja auch kein alltägliches Bild, das sich hier in Aspern bietet: Seit gut drei Wochen stehen die bunten Wägen in der Johann-Kutschera-Gasse in Wien-Donaustadt.

Erschienen in der „Wiener Zeitung“ am 28.07.2012

Davor sitzt eine Handvoll Männer, isst Gugelhupf und erzählt vom unkonventionellen Leben im Wagen: Der IT-Consultant Freitag wohnt seit acht Jahren in seinem Lkw. Dieser gebe ihm jene Mobilität, die er im Job brauche, sagt der 31-Jährige: Alle paar Jahre wechselt er die Stadt, und sein Zuhause kommt einfach mit.

Alternatives Wagenleben in der Lobau und Aspern

Hat sich ein neuer Wagen der Gruppe angeschlossen, sind Menschen auf der Durchreise zu Besuch? Martin Pell will nicht wissen, was ihn erwartet, wenn er nach Hause kommt. Deshalb lebt er im Wagenplatzkollektiv, wo sich immer etwas verändert.

2006 formierte sich in Wien die erste Wagenplatz-Gruppe, mit den Gänseblümchen gibt es nun zwei in der Donaustadt und eine in Wien-Floridsdorf. Bisher reagierte die Stadt auf alternative Wohnkonzepte eher verhalten, oft wurden die Wagenplätze erst nach langwierigen Verhandlungen geduldet. 1000 Euro Miete pro Monat zahlten die Wagenplatzbewohner gemeinsam für ihren Stellplatz in der Lobau. Aus Platzmangel hat ein Teil dieser Gruppe die Zelte abgebrochen, die Gänseblümchen suchen nun einen Platz zum Überwintern. Als optimal erschien ihnen dafür das Grundstück in Wien-Aspern, das mit 240 Hektar so groß ist wie 340 Fußballfelder oder der 7. und 8. Bezirk gemeinsam.

Anders sieht das die Betreibergesellschaft 3420 AG, die hinter dem größten Stadtentwicklungsprojekt Wiens steht. Noch duldet sie die Wagen vor den Toren der im Entstehen begriffenen Seestadt. Doch in maximal drei Monate müssen diese weg. Josef Lueger von der 3420 AG beruft sich auf fehlende Sicherheit und Komfort neben vorbeibretternden Lkw. Dass die Gänseblümchen ohnehin lieber auf die grünen Wiesen der Seestadt wollen, lässt er nicht gelten: Der Zeitpunkt sei denkbar schlecht, die Bauarbeiten bereits in vollem Gange.

Lässt man den Blick in Aspern schweifen, sind weit und breit nur Wiesen und Felder zu sehen, ab und an kommt ein Jogger vorbei und blickt verwundert auf die bunte Kolonne vor den Toren der Seestadt. „Bis 2015 steht das hier brach“, meint Freitag, der nicht glauben kann, dass überall gleichzeitig gebaut wird.

Zwischennutzung hat in Wien noch wenig Stellenwert, doch das ändert sich gerade, erklärt Jutta Kleedorfer. Sie ist in der Stadt Wien für Stadtentwicklung und Mehrfachnutzung zuständig und sieht sich derzeit mit fünf bis sechs Anfragen pro Woche konfrontiert. Meist kommen sie aus dem Kunstbereich, aber auch Selbsthilfe- oder Sportgruppen suchen günstige Räume auf Zeit. Doch das Angebot stehe in keiner Relation zur Nachfrage: Nur wenig Firmen seien bereit, Räume oder Grundstücke zur Verfügung zu stellen.

Noch zu früh für Agentur für Zwischennutzung

Wenn sie sich darauf einlassen, dann oft nur mit vertraglich geregeltem Räumungsrecht. Auch den Gänseblümchen hat die 3420 AG einen solchen angeboten, doch sie wollten nicht unterzeichnen. Kleedorfer berichtet von „der großen Angst der Firmen, dass man die Leute nicht mehr loswird“, anders sei das nur in jungen oder jung gebliebenen Chefetagen. Und obwohl im rot-grünen Regierungsabkommen die Etablierung einer Agentur für Zwischennutzung vereinbart ist, sei es dafür noch zu früh, sagt Kleedorfer, davor müsste sich noch einiges ändern, etwa in der Bauordnung. Laut dieser ist es untersagt, in Industriegebiet zu wohnen. Doch „um als Stadt weiterzukommen“ müsse man auffallen, und dazu bedarf es Investitionen in die Kreativwirtschaft, sagt die Stadtentwicklerin.

Doch Firmen entdecken Zwischennutzung zusehends als Marketinginstrument. In Aspern soll „dem ersten Bewohner der Seestadt“ ein Mikrohaus zur Verfügung gestellt werden, der im Gegenzug darüber bloggen soll. Und beim Projekt „Sprungbrett Aspern – Playing Ökodorf“ bauen junge Forscher Lehmhäuser. Das sei „ganz etwas anderes“ als die Vorhaben der Wagenplatz-Leute, meint Lueger. Schließlich würden diese Menschen nicht permanent dort leben. „Die haben sich verkauft, in Wahrheit machen wir genau dasselbe“, sagt Freitag.

Schließlich wollen auch sie brachliegende Fläche zum Blühen bringen oder zumindest darauf aufpassen. „Mit uns auf Ihrer Liegenschaft haben Sie verantwortungsbewusste Mieter, die nach dem Rechten schauen und die Substanz ein bisschen pflegen“, heißt es in einem Schreiben, mit dem sie nun an Firmen herantreten wollen.

In herkömmliche Wohnungen wollen sie jedenfalls nicht zurück – die Stadt und ihre Bewohner werden sich also an ihren Anblick gewöhnen müssen.

Bild: Kaffeebohnen mahlt Martin Pell von Hand, auch sonst wirkt der
Lebensstil der „Gänseblümchen“ wie aus einer anderen Zeit: Sie
suchen einen Platz, auf dem sie parken und wohnen können.