„In der Stadt ist es leicht, mit kleinem Fußabdruck zu leben“

by Bettina Figl

(c) Moritz Ziegler / Wiener Zeitung

Die Vorstadt als CO2-Treiber: Klimaökonom Gernot Wagner plädiert für das umweltfreundlichere Leben in der Stadt. Der Traum vom Eigenheim im Speckgürtel ist für ihn ein Albtraum. Gernot Wagner, österreichischer Klimaökonom, hat Suburbia als den Natur- und Klimakiller Nummer 1 identifiziert. Er selbst wohnt mit seiner vierköpfigen Familie in einem 70-Quadratmeter-Loft in Manhattan, sein ökologischer Fußabdruck ist dementsprechend gering. Den Umzug von Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts nach New York City, immerhin 340 Kilometer, hat die Familie per Fahrrad, Bahn und Schiff zurückgelegt. Sein neuestes Buch „Stadt Land Klima“ ist ein Plädoyer für ein umweltfreundliches Leben in der Stadt. Im Interview mit der „Wiener Zeitung“ erklärt Wagner, warum individuelle Verhaltensanpassung allein nicht reicht und inwiefern es „radikale Systemveränderungen“ braucht.

Dieses Interview ist am 9.5.2021 in der Wiener Zeitung Online erschienen.

„Wiener Zeitung:“ Herr Wagner, warum hat das Leben in der Stadt so viele Vorteile?

Gernot Wagner: Es ist mit einem geringen Fußabdruck sowie höherer Effizienz verbunden und geht dabei mit wenigen Kompromissen einher. In der Stadt ist es verdammt leicht, auf kleinem Fußabdruck zu leben, weil ich alles, was ich zum Leben brauche, direkt vor der Haustüre vorfinde, oder zumindest in 15-Minuten-Distanz.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Wir besitzen keine Waschmaschine. Dort, wo die Waschmaschine stehen würde, stehen vier Paar Ski. Zwei Wäschereien sind je eine Minute von unserer Wohnung entfernt. Ich gehe immer zu jener, die neben meinem Lieblingscafé liegt, gebe die Wäsche ab, lasse mir Kaffee in mein Gmundner-Keramik-Häferl füllen und gehe mit meinem Cappuccino wieder nach Hause.

Wieso schneidet die Vorstadt in der Klimabilanz schlecht ab?

Ein Haushalt in einem Vorort erzeugt im Schnitt doppelt so viel CO2 wie in der Stadt. In Wien gilt das auch für Bezirke am Stadtrand, in denen fast nur Einfamilienhäuser stehen. Die entscheidenden Faktoren sind Reichtum und Dichte. Reichtum bedeutet mehr CO2-Emissionen, Dichte weniger. Das Land ist relativ arm und dünn besiedelt. Suburbs liegen dazwischen: Sie haben relativen Reichtum, aber kaum Dichte. Das bedeutet: Größere Häuser, mehr Autos, mehr materiellen Konsum, und deutlich mehr CO2-Emissionen.

Lässt sich das pauschal sagen?

Man muss natürlich differenzieren. Täglich aus einer 70-Quadratmeter-Wohnung in Amstetten mit Rad und Zug nach Wien zu pendeln ist effizienter, als jeden Tag mit dem Auto vom Tullnerfeld nach Wien zu pendeln, obwohl das viel näher an Wien liegt.

In Ihrem Buch schreiben Sie, eine der größten Klimasünden seien kostenlose oder kostengünstige Parkplätze. Wenn es so wäre, wäre die Klimakrise doch leicht lösbar?

Parkplätze zu verteuern, ist natürlich kein Allheilmittel. Aber je mehr Menschen aus Vororten mit Autos in die Stadt pendeln, desto lauter werden die Rufe, subventionierte Parkplätze beizubehalten. Sowohl Verkehr als auch CO2-Emissionen sind somit „locked-in“ – einzementiert. Abseits von Mobilität und Verkehr geht es auch darum, auf wie vielen Quadratmetern wir wohnen, wie wir heizen und kühlen. In der Stadt können kleine Schritte große Unterschiede machen: Mit einer strategisch klugen Buslinie, mit einem Radweg, mit einer umgestalteten Straße lassen sich CO2-Emissionen fast über Nacht reduzieren.

Doch selbst die Pandemie hat die CO2-Ausstöße kaum reduziert…

Das zeigt, wie schwer es ist, durch individuelles Verhalten globale Veränderungen zu erzielen. Obwohl wir alle kaum gereist und gependelt sind, waren die CO2-Emissionen Mitte April 2020 im Vergleich zum Vorjahr nur 17 Millionen Tonnen bzw. 17 Prozent pro Tag weniger, aufs Jahr gerechnet waren es nur 7 Prozent. Wir müssen aber auf null Emissionen kommen.

Welche Lehre ziehen Sie daraus?

Es geht nicht um weniger Mobilität. Um dem Klimawandel zu stoppen, brauchen wir mehr Investitionen, mehr Wirtschaftsaufkommen, das auch sogleich mit mehr Arbeitsplätzen einhergeht. In den USA bedeuten Joe Bidens Klimazeile einen Verlust von ungefähr 70.000 Arbeitsplätzen im Öl- und Gassektor, aber in grünen Energie-Sektoren entstehen um die 550.000 Arbeitsplätze.

Individuelle Lebensweise ist nicht entscheidend, Sie sind aber ein Feind des Einfamilienhauses?

Wo wir wie leben, ist die größte Entscheidung überhaupt. Und dabei meine ich etwa nicht Wien oder New York, auch nicht Stadt oder Land. Es geht um die Entscheidung zwischen Stadt und Speckgürtel, zwischen Wohnung und Einfamilienhaus in Pendeldistanz von der Stadt. Derzeit wird alle zehn Jahre in Österreich eine Fläche, die so groß ist wie Wien, zubetoniert. Wir wissen, dass Zersiedelung so nicht weitergehen kann. Dazu kommt natürlich auch, dass wir spätestens Mitte des Jahrhunderts CO2-neutral sein müssen. Die Antwort liegt eindeutig in der Stadt.

Wieso ist es so wichtig, auf weniger Raum zu wohnen?

Man benötigt natürlich ein Minimum an Platz. Mein Vater ist in Amstetten noch teils zu zwölft auf weniger als 50 Quadratmeter aufgewachsen. Dann gibt es das andere Extrem, wo persönlicher Erfolg und Wohlstand in Quadratmetern gerechnet wird. Der österreichische Durchschnittshaushalt lebt heute auf 110 Quadratmetern, der durchschnittliche Neubau außerhalb der Stadt hat 150. Das hat enormen Einfluss auf Klima und Flächenverbrauch. Ich bin zu viert auf 78 Quadratmetern in Amstetten aufgewachsen und mir ist nichts abgegangen. Mit geht jetzt zu viert auf 70 Quadratmetern in New York auch nichts ab.

Geht der weltweite Trend in Richtung Urbanisierung?

Ja, der Trend geht grundsätzlich in die richtige Richtung. Allerdings gibt es auch fast überall, vor allem in Europa und Nordamerika, weitere Trends in Richtung Suburbanisierung, ein Trend, der fast überall vom Auto und Individualverkehr forciert wird. Das ist in Österreich nicht anders. Relativ wenige Wienerinnen und Wiener fahren Auto, Tendenz fallend. Im Rest von Österreich gibt es mehr als doppelt so viele Autos pro Person, Tendenz weiterhin steigend.

Trotzdem dominieren in der Stadt die Autos den Verkehr.

Ja, und leider dominieren sie auch noch zu sehr die Planung, der Verkehrs- und Wohnstrukturen, was damit verbundene CO2-Emissionen oft auf Jahrzehnte einzementiert. Dabei wäre es vor allem in der Stadt leicht, der Dominanz des Autos Einhalt zu gebieten. In der Stadt gibt es schließlich zig Alternativen, um von A nach B zu kommen. Es geht also um ein persönliches Umdenken und ums aktive Umlenken.

Fußgängerzonen, weniger Parkraum oder Umfahrungen: Solche Maßnahmen sind oft unpopulär und mit Protest verbunden.

Unpopulär unter Autofahrern? Ja. Meist nicht unter jenen, die tatsächlich in der Stadt wohnen, wo Spielstraßen mehr Lebensqualität bedeuten und Radwege Möglichkeiten öffnen. Da beginnt es mit der Wortwahl: Oft heißt es, wenn eine Straße für Fußgänger und Radfahrer geöffnet wird, dass die Straße für dein Verkehr „geschlossen“ wird. Hier in New York spricht die Stadtregierung mittlerweile offiziell von „offenen“ Straßen. Diese sind wiederum äußerst populär.

Ein Phänomen der Pandemie…?

In New York wurde schon vor Jahren die 14. Straße in Manhattan vollkommen für den Individualverkehr geschlossen. Busse durchqueren die Stadt seither schneller und pünktlicher. Geschäftsleuten gefällt es, dass mehr Menschen zu Fuß unterwegs sind. Heute fahren Kinder auf einer vormals sechsspurigen Autostraße mit dem Rad. Die Lebensqualität ist gestiegen.

Der Protest kommt auch von Pendlern, die etwa in Wien ein Drittel des Autoverkehrs ausmachen.

Ja, der Protest kommt vor allem von Pendlern. Damit sind wir wieder bei der Einzementierung von Verkehrs- und Wohnstrukturen und den einhergehenden Emissionen. Am Ende geht’s darum die Stadt attraktiver zu machen, damit die nächste Jungfamilie eben nicht aus der Stadt in den Speckgürtel zieht, um danach jahrzehntelang in die Stadt zurück zu pendeln. Städtische Straßen für Menschen zu öffnen, hilft auch hier. Natürlich heißt das auch Möglichkeiten für Vorstädter zu schaffen, etwa vermehrt mit der Bahn zurück in die Stadt zu kommen.

Nicht alle Pendler können auf die Bahn umsteigen.

Stimmt. Darüber hinaus bedeuten eben diese neuen Bahnverbindungen auch teils, dass der Umzug in den Vorort insgesamt attraktiver wurde. Da gibt es wie so oft eine feine Balance. Der Bahnhof im Tullnerfeld etwa geht auch mit einer zunehmenden Zersiedlung einher: der oft allzu dominante „Rebound“ oder „Boomerang“-Effekt.

Ist E-Mobilität die Lösung?

Sie ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wenn alle auf Elektro-Autos und -Fahrräder umsteigen, würden etwa nicht nur CO2-Emissionen, sondern auch Asthma-Fälle von Kindern radikal sinken. Das Problem der Zersiedlung, oder die Tatsache, dass viel zu viele Menschen im Straßenverkehr sterben, würde auch das Elektro-Auto aber nicht lösen.

Sie fordern eine „radikale Systemveränderung“.

Die Frage lautet heute nicht mehr, ob diese stattfinden wird, sondern wie schnell und wie genau dies passieren wird. Dabei wird die Stadt eine große Rolle spielen. Um ein Extrembeispiel zu nennen, entlang des Lexington Avenues in New York fahren täglich etwa 1,3 Millionen Menschen mit der U-Bahn. Auf dem breitesten Highway der USA, dem teils 26-spurigen Katy Freeway in Houston, Texas, fahren pro Tag 300.000 Autos, meist nur mit einer Person. Trotzdem gibt es dort täglich Stau. Gibt es ein besseres Bild dafür, dass das Stadtleben insgesamt effizienter, billiger und umweltfreundlicher ist?