Kritik an Radwegen: „Weiterwurschteln auf schwachem Niveau“

by Bettina Figl

300 Kilometer sichere Radwege auf Hauptstraßen. 50 Kilometer Fahrradstraßen. 375 Kilometer geöffnete Einbahnen. 110 Kilometer Rad-Schnellverbindungen. 72.000 Fahrradstellplätze. So lauteten vor der Wien-Wahl die Wahlversprechen der SPÖ (die sie übrigens von der Initiative „Platz für Wien“ übernommen hatte). Die Wiener SPÖ, die Partei für den kleinen Radfahrer. Es klang fast zu schön, um wahr zu sein. Doch von den Versprechen ist wenig geblieben, wie der Rad-Ausbauplan für das Jahr 2021 zeigt.

Dieser Artikel ist am 20.4.2021 in der Wiener Zeitung erschienen.

9 statt 20 Millionen Euro, sechs Bezirke gehen leer aus

Aber von Anfang an: Das Ziel, die baulich getrennten Radwege von derzeit 1 Prozent auf 10 Prozent der Wiener Straßenflächen zu erhöhen, ist im Regierungsabkommen verankert. Dafür stehen laut dem Programm der rot-pinken Stadtregierung 20 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich zu Verfügung. Nun ist der Ausbauplan, den die neue Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) vergangene Woche präsentiert hat, aber nur 9 Millionen Euro schwer. 20 Millionen Euro sollen 2022 investiert werden, versicherte Sima.

„Das Ausbauprogramm liegt vom Volumen her etwas über dem Durchschnitt der vergangenen Jahre. Das ist ein erster Schritt“, sagt dazu Martin Blum, Radverkehrsbeauftragter und Geschäftsführer der Mobilitätsagentur Wien, zur „Wiener Zeitung“. Roland Romano, Sprecher der Radlobby, sieht das etwas kritischer: „In so kurzer Zeit kann man zwar keine Großprojekte aus dem Boden stampfen. Dennoch wäre eine andere Dimension notwendig, um in Wien die Mobilitätswende einzuleiten“. Ulrich Leth, Verkehrsplaner der TU Wien und Sprecher der Initiative „Platz für Wien“, sieht in den Plänen der Stadt keinen großen Wurf. Auf Twitter schreibt er: „Nein, liebe Stadt Wien, mit ‚massivem Ausbau‘ hat das nichts zu tun. Das ist ein Weiterwurschteln auf schwachem Niveau.“ 

Im Gespräch mit der „Wiener Zeitung“ bedauert der Verkehrsplaner, dass mit der Gunoldstraße im 19. Bezirk und einem kurzen Teil der Altmannsdorfer Straße im 12. Bezirk heuer nur zwei der in einer TU-Studie empfohlenen Routen im Hauptradnetz ausgebaut werden sollen und meint: „Es bräuchte jedes Jahr große Vorzeigeprojekte wie den Getreidemarkt und die Wienzeile, in Wien sind große Lückenschlüsse notwendig.“

In den für 2021 präsentierten Plänen gehen ganze Bezirke vorerst leer aus – der 2., 5., 7., 8., 13. und 18. Bezirk kommen gar nicht vor – und meist werden bestehende Radrouten verbreitert oder weitergeführt, nicht aber neue Radwege errichtet.

So wird etwa im 10. Bezirk der bestehende Radweg zwischen Brunngraberhof und Arthaberplatz verbreitet und das Radeln gegen die Einbahn in der Davidgasse erlaubt – eine Maßnahme, die die Bezirke ohne großen Aufwand jederzeit eigenständig umsetzen könnten. „Im 10. Bezirk gäbe es viele Einbahnen, die breit genug sind und die man sehr einfach für Radfahrer öffnen könnte“, sagt dazu der Radverkehrsbeauftragte Blum.

Doch ohne den Bezirksvorstehern geht in Wien bei der Straßengestaltung bekanntlich nichts. Sima betont in einem Video der Stadt Wien, sie versuche „mit den Bezirken Kompromisse auszuverhandeln, was akzeptabel ist.“ Unter Rot-Grün wurden Pläne der Stadtregierung von den Bezirken blockiert oder geplante Radwege zum Mehrzweckstreifen degradiert.

Hebein-Spitzen und die magere Bilanz der Grünen

„Einen Radweg zu planen, der über drei Bezirksgrenzen geht, bedeutet, dass drei Bezirksvorsteher zustimmen müssen“, erklärte die ehemalige Vizebürgermeisterin und Verkehrsstadträtin Birgit Hebein in einem früheren Gespräch mit der „Wiener Zeitung“. Die Freude darüber, dass Hebein in der Verkehrspolitik nichts mehr zu sagen hat, ist in der SPÖ groß: Sowohl ihre Nachfolgerin als auch einige Bezirksvorsteher lassen keine Gelegenheit aus, um Spitzen gegen sie abzufeuern, obwohl sich diese inzwischen aus der Politik zurückgezogen hat.

Die Opposition kritisiert: „Das rot-pinke Radwege-Bauprogramm ist mehr als enttäuschend. Nur sechs Radwege, der Rest sind Fahrradstraßen, Einbahnöffnungen und Verbreiterungen. Der Verkehr bleibt damit das Klima-Sorgenkind in Wien“, schreibt etwa der verkehrspolitische Referent der Wiener Grünen Wolfgang Kamptner auf Twitter.

Doch auch die Bilanz der Grünen, die immerhin zehn Jahre lang in der Stadtregierung waren, fällt bescheiden aus: Ihr Ziel, den Anteil der Radfahrer auf 10 Prozent zu steigern, haben sie verfehlt. Dass der Anteil der Radfahrer zuletzt von 7 auf 9 Prozent gestiegen ist, war der Corona-Pandemie geschuldet und nicht progressiver Verkehrspolitik. Noch ist es zu früh, um die rot-pinke Stadtregierung an ihren Erfolgen zu messen. Aber um die Klimaziele zu erreichen – Wien will bis 2040 klimaneutral sein -, wird es mehr brauchen. Es ist noch ein langer Weg zur Fahrradstadt.