Mit 17 schon volljährig?
by Bettina Figl
Land Niederösterreich will offenbar bei der Betreuung von minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen sparen. Jugendliche Flüchtlinge könnten bald in Erwachsenenquartiere untergebracht werden. Laut inoffiziellen Informationen wird es angesichts der neuen Flüchtlingsströme zu Einsparungen bei der Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen kommen.
Diesen Artikel habe ich gemeinsam mit Marina Delcheva recherchiert und geschrieben. Er ist am 9.9.2015 in der Wiener Zeitung erschienen und hier nachzulesen.
Fix scheint, dass es in Niederösterreich – hier leben fast 2000 der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge – den erhöhten Tagessatz nur für bestehende und bereits bewilligte Flüchtlingsquartiere geben wird. „Keinesfalls“ werde es den erhöhten Tagessatz für noch nicht bewilligte Betreuungseinrichtungen geben, so ein Mitarbeiter der Niederösterreichischen Landesregierung. „Das wäre ein Desaster“, sagt Christoph Riedl, Geschäftsführer des Diakonie-Flüchtlingsdienstes, denn die neuen Einrichtungen seien bereits auf den höheren Tagessatz ausgerichtet.
Zur Erinnerung: Am 31. Juli hat sich die Regierung darauf verständigt, den Tagessatz für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge von 77 Euro auf 95 Euro aufzustocken. Die Erhöhung soll am 1. Oktober in Kraft treten und rückwirkend bis zum 1. August ausbezahlt werden. Die jährlichen Mehrkosten dafür belaufen sich auf 32 Millionen Euro. Zum Vergleich: Der Tagessatz für die Betreuung erwachsener Flüchtlinge liegt bei 19 Euro, wobei die Schutzsuchenden lediglich 40 Euro Taschengeld im Monat bekommen.
Den erhöhten Tagessatz bekommen minderjährige Asylsuchende, die in betreuten Wohneinrichtungen leben. Sie sind in kleinen Wohneinheiten statt in Massenquartieren untergebracht. Sie werden rund um die Uhr betreut, es gibt Erziehungsmaßnahmen, Deutschkurse, Hilfe bei den Hausübungen – und das, bis sie volljährig, also 18 Jahre alt, sind.
Minderjährigkeit neu interpretiert
In Niederösterreich wird nun in internen Papieren, die der „Wiener Zeitung“ vorliegen, Volljährigkeit neu interpretiert. Im Gespräch ist eine Neuorganisation der Betreuung von Minderjährigen. Unter 17-Jährige sollen weiterhin in kleinen Wohngruppen betreut werden. Über 17-Jährige könnten aber in „ausgewählte Erwachsenenquartiere“, wie es im Papier heißt, oder Wohnheimen mit weniger intensiver Betreuung untergebracht werden. Eine Passage im Grundversorgungsgesetz der Länder erlaubt das schon jetzt ab dem 17. Lebensjahr. Sie ist nur bisher noch nie zur Anwendung gekommen. „Das ist noch keine Richtlinie, sondern lediglich eine Überlegung“, kommentiert Peter Rozsa von der Abteilung Jugendwohlfahrt der niederösterreichischen Landesregierung die Pläne gegenüber der „Wiener Zeitung“.
Der Druck bei der Unterbringung werde immer größer. Es gehe darum, möglichst viele Jugendliche „adäquat“ zu versorgen. Während das Land im Vorjahr rund 250 unbegleitete Minderjährige betreut hat, werden heuer über 600 erwartet, das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen nicht eingerechnet.
Ähnliche Überlegungen gebe es auch in anderen Bundesländern, erklärt eine Caritas-Sprecherin gegenüber der „Wiener Zeitung“. Diese gelockerte Betreuung ab dem 17. Lebensjahr birgt viel Einsparungspotenzial. Denn statt 95 Euro beliefen sich die Kosten nach dem neuen Modell auf rund 39 Euro. Ob diese Lockerung rechtlich durchgeht, ist fraglich. „Die Betreuung für Flüchtlinge auf 17 Jahre herabzusetzen wäre ein Bruch der EU-Aufnahmerichtlinie und sämtlicher österreichischer gesetzlicher Bestimmungen“, so Riedl. Zwar gäbe es 17-Jährige, die die 24-Stunden-Betreuung nicht (mehr) benötigen – aber diese Entscheidung sollte nicht aus Kostengründen, sondern je nach Betreuungsbedarf getroffen werden.
„Das Papier wird in dieser Form nicht kommen“, sagt ein Mitarbeiter der Landesregierung und merkt an: „Jugendliche, die dazu in der Lage sind, werden aber von Anfang an geringer betreut werden müssen“ – also auch unter 17-Jährige. Um das umsetzen zu können, versuche man gesetzliche Bestimmungen „so weit wie möglich“ auszulegen. Die möglichen Kürzungen treffen übrigens nicht nur junge Flüchtlinge, sondern auch NGOs, die für deren Betreuung zuständig sind.