Ö1-Interview mit Autorin Asli Erdogan

by Bettina Figl

Pro-kurdisch, links und feministisch: Die türkische Autorin Asli Erdogan eckt in ihrer Heimat an. Für die Literaturzeitschrift „Lire“ ist sie eine der fünfzig wichtigsten Schriftstellerinnen der Zukunft, sie erhielt den „Sait-Faik-Preis“, den bedeutendsten Literaturpreis der Türkei.

Lesen und hören Sie hier den Originalbeitrag auf Ö1: http://oe1.orf.at/artikel/285629

Trotzdem ist sie in ihrer Heimat nicht sehr bekannt. Sie sagt, als Frau habe man es als politisch Andersdenkende noch schwerer, denn die Türkei sei eines der größten Macholänder der Welt: „Natürlich ist dieser Machismo nicht so gewaltig. Wenn du eine Frau bist und die Karten richtig spielst, kannst du eine raketenartige Karriere hinlegen. Die Männer sitzen auf den mächtigen Posten, und alles was du tun musst, ist ihrem Ideal einer Frau zu entsprechen. Wenn du aber links, pro-kurdisch, pro-armenisch und eine Feministin bist und – sagen wir – lockere Moralvorstellungen hast, dann vergiss es. Sie geben dir keine Chance, auch nur zu atmen.“

Doch wenn man glaubt, Hahnenkämpfe gäbe es nur in der Türkei, dann weit gefehlt. Anfang der 1990er arbeitete die studierte Physikerin drei Jahre lang am Kernforschungsinstitut CERN. Doch die dortigen Machtspielchen wurden ihr bald zu viel, sie wechselte in die Literatur, und musste feststellen: Auch hier dreht sich alles um Macht: „Das Leben einer Physikerin, insbesondere das einer Nuklearforscherin bei CERN ist sehr taff und grausam. Es ist dieses riesengroße Machtspielchen aufgrund der riesigen Geldmengen, die da involviert sind. Deswegen bin ich in die Literatur gegangen und habe festgestellt: Es ist dasselbe Spiel. Aber als Autorin kann ich mich ein, zwei Jahre in ein Zimmer einschließen und du bekommst nicht viel von dieser hässlichen Seite des Betriebs mit.“

Autoren im Gefängnis

Erdogan arbeitet derzeit vor allem als Kolumnistin, sie schreibt über Frauenpolitik und Menschenrechte. Außerdem setzt sie sich für die Rechte von Autoren ein, die im Gefängnis sind – und das sind in der Türkei nicht wenige: an die 60, mehr als im Irak oder Ägypten unter Mubarak. Für Journalisten und Autoren ist es in der Türkei einfach, mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen. Der Paragraph 301 hat schon Orhan Pamuk aufgrund „Verunglimpfung der Türkentums“ vor Gericht gebracht und wurde inzwischen entschärft.

Derzeit macht das Anti-Terror-Gesetz vor allem Journalisten zu schaffen: Mit Ahmet Sik und Nedim Sener landeten im Frühjahr 2011 zwei angesehene Investigativ-Journalisten hinter Gittern. Das führte zu viel Aufsehen, schließlich haben die beiden einst Putschpläne des Militärs gegen die Regierung Erdogan aufgedeckt. Nun wird ihnen selbst vorgeworfen, einer nationalistischen Untergrundorganisation anzugehören, nämlich Ergenekon. Der tatsächliche Grund für Siks Haft soll aber sein neuestes Buch sein, das von islamistischen Bruderschaften handelt. „Wer die Islamisten berührt, verbrennt“, schrieb Ahmet Sik aus dem Gefängnis. Asli Erdogan ist mit Sik befreundet. Für sie ist die Verhaftung schlicht absurd:

„Sik wurde verhaftet, weil er ein Ergenekon-Mitglied sein soll. Dabei war er immer auf der Seite der Linken und der Kurden, also komplett anti-Ergenekon. Er schrieb über Fethullah, eine sehr große und reiche muslimische Sekte. Sik war sehr aktiv in Menschenrechtsdingen und sehr anti-nationalistisch. Eines der Tabus, über die man derzeit lieber nicht schreibt, ist Fethullah.“ Die Fethullah-Bewegung ist nach ihrem Anführer Fethullah Gülen bennant, einem Islamprediger. Während seine Anhänger ihn als wichtigen islamischen Gelehrten ansehen, werfen ihm seine Gegner Islamismus und Nationalismus vor, da er die türkische Republik durch einen islamischen Staat ersetzen will.

Schreib-Tabus

Asli Erdogan schrieb immer wieder für die linksliberale Zeitung „Radikal“, oft über Menschen im Gefängnis, die gestorben sind. Sie wurde schließlich gefeuert. Heute sagt sie, Zensur sei nicht berechenbar und man könne sich nicht schützen, indem man bestimmte Themen meidet. Ihre metaphorische Sprache helfe zwar, da sie Interpretationsspielraum lässt, doch das sei keine Garantie: „Jeder Artikel kann jederzeit, an jedem Tag einen Richter wütend machen. Obwohl meine Artikel für ‚Radikal‘ harscher waren, musste ich nie vor Gericht. Niemand schert sich darum, was du sagst. Es geht darum, wo du schreibst und wer du bist. Wenn ein Kurde und ein Nicht-Kurde denselben Artikel schreibt, geht der eine ins Gefängnis, der andere vielleicht nicht.“

Im Moment schreibt Asli Erdogan für die kurdische Zeitung „Öskürkündar“, die liberale Tageszeitung „Taraf“ und das schwedische Magazin „Arena“. Worauf achtet sie, wenn sie schreibt, damit ihr nicht dasselbe Schicksal wie Ahmet Sik droht? Welche Tabus streift sie lieber nicht? „Vor zehn Jahren war es riskant, das Wort ‚Kurde‘ zu schreiben. Heute redet jeder darüber. Der armenische Genozid war ein riesiges Tabu. Heute kann man – zu einem gewissen Maß – darüber sprechen. Aber wenn du vom ‚armenischen Genozid‘ sprichst, ist es immer noch sehr wahrscheinlich, dass du Schwierigkeiten bekommst.“

„Innerlich tot“

Was passieren kann, hat sie am eigenen Leib erfahren: Sie schrieb über Todesfälle im Gefängnis, woraufhin sie zehn Tage lang von der Polizei beschattet wurde. 2003 wurde ein Buch über sie veröffentlicht, das voller persönlicher Angriffe war und in den Boulevardmedien hohe Wellen schlug. Es folgten Drohbriefe, sie litt unter Panikattacken und floh für ein Jahr aus der Türkei. Doch sie kehrte zurück.

Wie ist es heute – hat sie Angst, wenn sie ein Interview gibt? „Ich verbiete es mir, Angst zu haben. Wenn du einmal damit anfängst, gibt es kein Ende mehr. Sobald du einmal so sehr zerstört wurdest, wirst du entweder extrem ängstlich oder extrem abgestumpft. Ich wurde Zweiteres; ich bin innerlich tot. Man kann mir also nicht mehr wehtun.“

Kein positiver Blick in die Zukunft

Am 12. Juni wurde in der Türkei gewählt, Regierungschef Recep Tayyip Erdogan und seine AKP gingen wieder als Sieger hervor – zum dritten Mal in Folge. Obwohl Asli Erdogan keine AKP-Befürworterin ist, hält sie der Partei zu Gute, dass das Militär nicht mehr so mächtig ist. Die Zukunft des Landes sieht sie trotzdem alles andere als positiv: „Die Islamisten sind sehr mächtig: Richter, Gefängnisse, die Polizei… sie sind alle in ihren Händen. Das reicht, um ein Land fast totalitär zu machen. Es besteht die Gefahr, dass die Türkei mehr und mehr totalitär wird. Manche Menschen haben Angst vor Sharia, ich glaube nicht, dass das die Gefahr ist. Die Türkei wird kein Iran.“

Die Arbeitsbedingungen für Autoren in der Türkei sind also sehr schwierig, weshalb Asli Erdogan auch immer wieder ins Ausland flüchtet: Lange lebte sie in Rio de Janeiro, einige Zeit in der Schweiz. Doch sie kehrt immer wieder zurück, da ihr das Türkische sonst fehlt. Aktuell laufen laut dem Europäischen Journalistenverbandes in mehr als 4.000 Fällen Ermittlungen gegen türkische Journalisten, und inzwischen ist die Zahl der Inhaftierten auf 70 angestiegen, ein trauriger Weltrekord.