Traurig, verrückt, zum Schießen
by Bettina Figl
Ungewöhnlicher Protest: Die größte technische Uni des Landes verlegt Vorlesung auf die Straße, um auf Finanznot hinzuweisen
Wien.Weißer Rauch säumt den Asphalt, rosa Schaum spritzt in die Luft: Wenn es sein muss, wissen Techniker ihr Fach durchaus in Szene zu setzen.
Erschienen in der „Wiener Zeitung“ am 10.05.2012
Am Mittwoch fand vor der Technischen Universität (TU) Wien eine Vorlesung statt, um auf die finanzielle Not der hochverschuldeten Uni hinweisen. Hunderte Menschen waren zur „Street Lecture“ in der Operngasse gekommen, um die Versuche des Chemikers Peter Weinberger mitzuverfolgen – und nicht nur Studierende. Doris Schott etwa kam zufällig vorbei, sie findet es „traurig und verrückt“, dass sich die Zustände an den Unis dramatisch verschlechtert haben – schließlich seien diese schon miserabel gewesen, als sie vor 20 Jahren studierte. „Zum Schießen“ findet hingegen eine Deutsche, was hier stattfindet. Als ein Student ihr die Unterfinanzierung der Unis näherbringt, sagt sie: „Wien sieht so toll aus, das kann ja nicht sein!“
Um punkt zehn Uhr hatte die Polizei die Opernstraße abgesperrt, innerhalb weniger Minuten wurde in der sonst stark befahrenen Straße ein provisorisches Labor errichtet. Die TU Wien komme mit einem Siebentel des Budgets der ETH Zürich aus, sagt Chemieprofessor Weinberger, und dann wird es explosiv: Mit der „Blaulichtreaktion“ grüßt er die anwesende Exekutive; der Asphalt wird schockgefroren; eine Mischung aus Waschmittel, Wasserstoffperoxid und Kaliumiodid ergibt rosa Schaum: „Elefantenzahnpasta für die Großmäuler in der Politik“, so der Professor.
„Gebühren keine Lösung“
Ernsthafter gibt er sich im Gespräch mit der „Wiener Zeitung“: Die TU sei „pleite“. Um Forschung und Lehrer aufrechtzuerhalten, brauche es Geld. Unverständlich sei ihm, dass weder Politiker noch Industrielle die TU Wien als die größte technische Universität des Landes anerkennen, die Personal für die Zukunft ausbildet. Einige Unis wollen nun autonom Studiengebühren einheben, nicht aber die TU. Für Weinberger sind Gebühren so lange keine Lösung, bis nicht garantiert werden könne, dass dieses ohne Probleme abgeschlossen werden kann. Und das sei derzeit bei 20 bis 30 nicht besetzten Professuren und schwer zu ergatternden Laborplätze nicht der Fall.
Die Bedingungen in ihrem Studium hätten sich in den letzten beiden Jahren sehr verschlechtert, berichtet die Informatikstudent Georg Edlinger: Auf Prüfungsergebnisse warte man etwa aufgrund Personalmangel monatelang. „Cool“ findet sein Kollege Johannes Obermüller, dass nun auf der Straße auf die Misere hingewiesen wird.
Interesse besteht allemal; ein Mann in Bikerkluft etwa – Fliegerbrille, Lederhose, Helm unterm Arm – beobachtet rauchend das Spektakel. Wie er das hier findet? „Super, das sollte es viel öfter geben.“ Selbst habe er zwar nie studiert, sagt aber: „Ich studier’ das Leben.“
Erleichtert über den einwandfreien Ablauf der nicht einmal einstündigen Aktion zeigt sich Martin Olesch vom Vorsitzteam der TU-Hochschülerschaft. Nächsten Mittwoch soll es eine Mathematikvorlesung auf der Straße geben. „Wir wollen das hier so lange machen, bis die Politik bereit ist, die Unis auszufinanzieren.“