Christoph Wiederkehr fordert ein Ende des Schul-Lockdowns

by Bettina Figl

Der pinke Bildungsstadtrat im Interview über die von ihm angeregte frühere Schulöffnung, die Aufwertung der Kindergartenpädagogik und den Vorwurf des mangelnden pinken Durchsetzungsvermögens. Das Interview ist am 4.1.2020 in der „Wiener Zeitung“ erschienen.

Mit Christoph Wiederkehr hat Wien erstmals einen pinken Bildungsstadtrat. Im Programm der rot-pinken Stadtregierung fällt das Wort „Bildung“ immerhin 232 mal, dennoch vermissen Kritiker die pinke Handschrift. Im Jahr 2021 will Wiederkehr einen Schwerpunkt auf Schulen und Kindergärten setzen. Was genau er vor hat, wieso die Schulen in Wien früher öffnen sollen als geplant und wie viel Pink im Regierungsabkommen steckt, erzählt Wiederkehr im Neujahrs-Interview.

„Wiener Zeitung“: Warum sollen die Schulen in Wien schon am 11. und nicht wie geplant am 18. Jänner öffnen? Funktioniert das Distance Learning so schlecht?

Christoph Wiederkehr: Distance Learning ist eine irrsinnige Herausforderung für Kinder, die zu Hause von ihren Eltern nicht gefördert werden. Wir sehen auch, dass Homeoffice und Homeschooling nebeneinander nicht funktionieren. In Wien haben wir derzeit ein stabiles Infektionsgeschehen, die Siebentagesinzidenz (der Zahl der laborbestätigten Coronavirus-Fälle pro 100.000 Einwohner in den jeweils vergangenen sieben Tagen, Anm.) liegt bei etwa 100. Daher halte ich es für angebracht, den Schul-Lockdown zu beenden.

Werden Kinder aus bildungsfernen Familien im Distance Learning nicht erreicht?

Nein, leider erreichen wir sie oft nicht. Hier gibt es große Unterschiede und die Bildungschancen vieler Kinder haben sich verschlechtert. Wir brauchen in den Schulen eine Aufholjagd, um die entstandenen Defizite aufzuholen.

Gesonderte Deutschklassen haben sich laut den meisten Lehrern jedenfalls nicht als sinnvoll erwiesen – wollen Sie diese beibehalten?

Ich habe die Deutschklassen immer kritisch geschehen, weil hier Expertenmeinungen komplett missachtet worden sind. Die Deutschklassen werden zentral von der Bundesregierung vorgegeben, aber ich setzte mich für eine flexiblere Gestaltung im Sinne der Schulautonomie ein: Die Schulleitung soll autonom entscheiden, ob Deutschklassen am Schulstandort sinnvoll sind und die Ressourcen sollen je nach Bedarf an die Schulen verteilt werden.

Im Regierungsabkommen heißt es unter dem Punkt „Gemeinschaftsschule“ man wolle die „Verknüpfung der Primar- und Sekundarstufe“. Bis 2030 soll dann die „Wiener Schule“ an zehn Standorten Anschluss an Ausbildungswege der Sekundarstufe Zwei bieten. Ist das eine Einführung der Gesamtschule durch die Hintertür?

Die Frage der Gesamtschule ist ideologisch aufgeladen und bringt uns nicht weiter. Ich sehe die frühe Trennung kritisch und bin für eine chancengerechte Schule. Ich möchte die Pflichtschulen verbessern und wir starten dazu das „Wiener Bildungsversprechen“, bei dem Brennpunktschulen mehr Mittel und Förderung bekommen als andere Schulen.

Sie wollen mehr Sozialarbeiter und Psychologen einsetzen – können Sie da schon eine konkrete Zahl nennen?

Wir müssen zuerst einmal genügend Personal ausbilden, denn es gibt zu wenige Schulpsychologen.

In den Kindergärten wollen Sie die Sprachförderkräfte von 300 auf 500 erhöhen. Warum ist die Förderung der Muttersprache so wichtig?

Es hilft beim Spracherwerb, wenn man die Muttersprache spricht, es ist kein entweder oder, aber neben Deutsch soll auch die Muttersprache gefördert werden. Wir wollen das schon im kommenden Jahr angehen.

Elementarpädagoginnen berichten von fehlenden Masken und Desinfektionsmitteln in den Kindergärten – werden die Kindergärten in der Pandemie von der Politik allein gelassen?

Mir ist der Kindergartenbereich sehr wichtig, meine erste Handlung als Bildungsstadtrat war der Austausch mit den Interessenvertretern der Kindergärten. Wir haben die Testkapazitäten an den Kindergärten massiv aufgestockt, in jedem Kindergarten gibt es Gurgeltests. Die Pädagogen können sich regelmäßig testen lassen. Im Umgang mit den Kindern ist der Mund-Nasen-Schutz aus pädagogischen Gründen nicht empfohlen, aber es gibt FFP2-Masken für den Kontakt mit den Eltern.

In den Kindergärten gibt es die Probleme nicht erst seit der Pandemie: Fachkräftemangel, schlechte Bezahlung, zu hoher Betreuungsschlüssel … was muss passieren, damit sich hier endlich etwas ändert?

Das ist eine große Herausforderung, aber der Beruf der Kindergartenpädagogin ist unglaublich wichtig und schön. Wir wollen das Assistenzpersonal in den kommenden fünf Jahren verdoppeln, von 20 Stunden pro Woche auf 40 Stunden. Das wird vor allem den privaten Kindergärten zugutekommen. Das Betreuungsverhältnis in den öffentlichen Kindergärten ist jetzt schon sehr gut.

Soll sich an der Ausbildung der Kindergartenpädagogen etwas ändern?

Es soll mehr Kindergartenpersonal über den zweiten Bildungsweg kommen, denn in den Bakip (Bildungsanstalten für Kindergartenpädagogik, Anm.) sehen wir, dass es in den höheren Schulen zu früh ist für die Berufswahl, denn oft bleiben die Absolventinnen nicht lange im Job.

Wäre es sinnvoll, die Ausbildung zur Kindergartenpädagogin universitär anzusiedeln?

Das kann ich mir vorstellen.

Hat der geringe Stellenwert der Elementarpädagogik auch damit zu tun, dass die Zuständigkeit bei den Ländern liegt und nicht beim Bund?

Es ist egal, wie die Kompetenzverteilung erfolgt, wir brauchen mehr Wertschätzung für den Beruf.

Zusätzliche Sprachförderung und mehr Assistentinnen im Kindergarten, mehr Schulpsychologen und Sozialarbeiter – woher soll das Geld kommen?

In den Koalitionsverhandlungen konnten wir uns auf ein Sonderbudget von 120 Millionen Euro für Bildung einigen.

Laut einigen Kommentatoren ist im Programm der Stadtregierung die pinke Handschrift kaum erkennbar. Haben die Neos ihre Werte der Regierungsbeteiligung geopfert?

Nein, in einer Regierung einigen sich beide Partner auf ein gemeinsames Programm. Wenn wir 51 Prozent der Stimmen gehabt hätten, hätte das Regierungsprogramm natürlich anders ausgesehen. Aber wenn man das Programm genau liest, wird man eine starke pinke Handschrift sehen.

Wo zeigt sich die Neos-Handschrift?

Die zusätzlichen Mittel, die in die Bildung fließen, tragen eine klare pinke Handschrift und beweisen unsere Durchsetzungskraft. Auch in Sachen Transparenz sind im Übereinkommen einige Punkte verankert, die es ohne uns nicht gegeben hätte. Denken Sie nur an die Valorisierung der Parteienförderung, die für die nächsten beiden Jahre ausgesetzt wird und dem Steuerzahler somit zwei Millionen Euro spart.

Im Wahlkampf haben Sie mit der Abschaffung der nicht amtsführenden Stadträte geworben … ? 

Die Abschaffung der nicht amtsführen Stadträte ist im Regierungsabkommen verankert, dafür braucht es zuerst eine Verfassungsänderung.