Einkaufen mit Gemeinschaftssinn

by Bettina Figl

160619-0332-img-0675Vor 43 Jahren schlossen sich in Brooklyn holten einige Menschen günstige Lebensmittel direkt von lokalen Produzenten. Heute ist die Park Slope Food Coop eine der größten und ältesten Lebensmittelkooperativen der USA. 

New York City. Einem jungen Mann, er schichtet Pfirsiche in ein Regal, rutscht die Schachtel aus der Hand, die roten Früchte kullern durch die engen Gänge. Die „Kunden“ manövrieren ihre Einkaufswägen geschickt vorbei, einige knien nieder und helfen mit, das gefallene Obst einzusammeln.

In der Park Slope Food Coop, einer der ältesten Lebensmittelkooperativen in den USA, setzt man seit 43 Jahren auf Zusammenarbeit. Heute ist sie mit 17.000 Mitgliedern die größte Food Coop des Landes, in der alle Mitglieder mitarbeiten müssen, die Unterscheidung zwischen „Kunde“ und „Mitarbiter“ gibt es de facto nicht. Das erklärt die teilweise ungeübten Arbeiter wie den Mann mit den Pfirsichen, aber auch die geringen Personalkosten.

Dieser Artikel ist am 14.6.2016 in der „Wiener Zeitung“ erschienen. Eine Bildergalerie gibt’s hier.

Faschiertes vom Weiderind, Freiland-Eier, koscheres Geflügel. Brie und Parmesan, auf Wunsch auch vegan, sowie Yogamatten und Honigkerzen in der Form des Buddha: Das Sortiment erinnert an jenes von Whole Foods, der größten Bio-Supermarktkette der Welt. In der Food Coop erhält man alles, was das Öko-Herz begehrt. Aber anders als beim Bio-Riesen kaufen die Coop-Mitglieder zu Spottpreisen ein. Ein halbes Kilogramm Äpfel kostet weniger als einen Euro, ein Bund Bio-Kohl gerne einmal zwei Dollar. Man erspart sich 20 bis 40 Prozent gegenüber herkömmlichen Supermärkten, verspricht die Coop, die Handelsspanne beträgt nur 21 Prozent (zum Vergleich: 26-100 Prozent sind es in einem herkömmlichen Supermarkt).

Mitarbeit ist Pflicht

Die Preise und die Qualität der Produkte – fast alles gibt es auch in der Bio-Variante, vieles kommt von Produzenten aus der Nachbarschaft – unterscheidet die Park Slope Food Coop aber nicht nur von herkömmlichen Supermärkten, sondern auch von anderen Food Coops.

Gegründet wurde sie, wie viele andere in den USA, vor fast 50 Jahren mit Rückenwind der 1968er-Bewegung. Doch die Park Slope Food Coop ist eine der wenigen, die dem Prinzip, dass jedes Mitglied mitarbeiten muss, bis heute treu geblieben ist. „Damals gehörte es zum Zeitgeist, seine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen“, sagt Coop-Pressesprecherin Ann Herpel.

Andere Ideale – wie jenes, dass die Produkte möglichst bio und lokal sein sollen – seien erst im Laufe der Zeit dazu gekommen, erzählt sie: „Damals ging es eher darum, günstige Lebensmittelpreise anbieten zu können. Heidelbeeren aus Argentinien hat man sowieso nicht bekommen.“

Auf 500 Quadratmetern und in sechs Gängen drängen sich dutzende Mitglieder, und versuchen, an die Produkte in den Regalen heranzukommen. Einkäufer, arbeitende Mitglieder, abgestellte Leitern und Rollwägen kommen einander dabei immer wieder in die Quere. Das Shoppingerlebnis ist besonders zu Stoßzeiten am Abend alles andere als entspannt.

„Der vegane Parmesan ist aus, wo ist der vegane Parmesan?“ Ein Mitarbeiter, in seiner Stimme schwingt leichte Verzweiflung, teilt via Lautsprecher mit, was nachgeschlichtet werden muss. Die Produkte liegen hier vier- bis fünfmal kürzer in den Regalen als in anderen Supermärkten, dadurch sind die Lebensmittel garantiert frisch. Einmal pro Woche ist das Geschäft komplett leergeräumt, pro Woche geben die Mitglieder im Schnitt eine Million Dollar aus.

Einkauf nur für Mitglieder

Nur Mitgliedern ist es gestattet, hier einzukaufen. Um in den Genuss der Privilegien eines Mitglieds zu kommen, muss man zuerst einen Orientierungs-Workshop besuchen und 100 Dollar Investitionsbeitrag zahlen (10 Dollar für Sozialhilfebezieher). Dadurch, dass alle Mitglieder auch Miteigentümer sind, haben diese einen anderen Bezug zu den Lebensmitteln, sagt Herpel: „In anderen Geschäften bekommt man Früchte, die vielleicht aussehen wie Erdbeeren, doch nicht wie Erdbeeren schmecken, und den Mitarbeitern ist das egal. Hier ist das anders.“

Wer vergisst, dass er hier nicht Kunde und schon gar nicht König ist, wird darauf schnell, und nicht immer freundlich, hingewiesen; etwa wenn die Frau hinter der Kassa dazu aufruft, den Korb gefälligst selbst auszuräumen und wegzutragen. Man sollte auch besser nicht „zweite Kassa bitte“ rufen – außer man will gleich selbst einspringen.

Als Kassier sollte man das Warenangebot im Blick haben, im Warenempfang oder als Produzent im Keller muss man mitunter stark anpacken, im Büro über die bürokratischen Abläufe Bescheid wissen. Die Anforderungen und Arbeitsbereiche sind höchst unterschiedlich.

Mit den Rechten kommen auch Pflichten: Jedes Mitglied muss einmal pro Monat 2 Stunden und 45 Minuten mitarbeiten. Zu besonders beliebten Arbeiten zählt die Kinderbetreuung, die Fahrradaufsicht oder „Walking“; man hilft einkaufenden Mitgliedern dabei, die Lebensmittel bis zur U-Bahn, zum Auto, oder – für die, die Glück haben und nahe wohnen – bis nach Hause zu transportieren.

Auch die Schicht in der Lebensmittelverarbeitung ist begehrt: im Keller duftet es nach Anis und Zimt, es werden Kräuter und Trockenfrüchte abgepackt und gewogen, Käse wird portioniert. Im Hintergrund läuft Jazz, die Arbeiter diskutieren die herannahenden Präsidentschaftswahlen und jammern, wie schwierig es ist, Karten für das Broadway-Musical „Hamilton“ zu bekommen.

Doppelschicht zur Strafe

Wer seine Arbeitsschicht unentschuldigt verpasst, muss zur Strafe eine doppelte Schicht zusätzlich einlegen. Kommt man diesen Pflichten nicht nach, wird man von der Food Coop suspendiert, bis man alles nachgeholt hat.

Wer stiehlt, für Nicht-Mitglieder miteinkauft, in der Arbeitsschicht Zeit totschlägt oder auf eine andere Art gegen die Regeln verstößt, muss den „Aufsehern“ gegenüber Rechenschaft ablegen und vor das Disziplinarkomitee treten. Dieses entscheidet, ob das Mitglied verwarnt oder gleich ganz ausgeschlossen wird. Die strengen Regeln sind „bedauernswert, aber notwendig, um die Coop zu schützen“, sagt Herpel, „denn Mitglieder, die sich nicht an die Regeln halten, können der Coop sehr schaden“.

Salzburgerin ist Squad Leader

Dafür, dass es in den Abteilungen mit rechten Dingen zugeht, sind „Squad Leader“, eine Art Gruppenleiter, verantwortlich. Die Führungskräfte behalten im Warenempfang, im Büro oder der Verarbeitung ehrenamtlich den Überblick über Anwesenheit und Arbeitsverteilung. Gabriele Wolf, Arbeitsgruppenleiterin im Kassabereich, ist eine von ihnen.

Die 55-jährige Salzburgerin arbeitet für die Österreich-Werbung, lebt seit 32 Jahren in New York und ist seit 14 Jahren Food Coop-Mitglied. Sie berichtet, viele junge Menschen würden sich vor allem aufgrund der Preise der Food Coop anschließen – zuletzt schossen im Zuge der Wirtschaftskrise die Mitgliederzahlen stark in die Höhe -, doch für sie steht der Gemeinschaftsgedanke im Mittelpunkt: „Ich möchte Dinge als Team, als Gruppe erleben. Das ist mir sehr wichtig.“ So wichtig, dass sie von Manhattan nach Brooklyn gezogen ist, um nahe der Food Coop zu leben; heute wohnt sie – einen Steinwurf von der Food Coop entfernt – mit neun Menschen in einem Künstlerloft. Wolf hat andere Coops in Kalifornien und Boston besucht, in denen die Mitglieder zwar Rabatte bekommen, aber nicht mitarbeiten: „Das ist dann wie ein normaler Supermarkt. In Park Slope herrscht ein ganz anderer Spirit.“

Für sie ist gemeinsames Wohnen, Einkaufen und Gärtnern die Zukunft: „Wenn man gemeinsam etwas erarbeitet, baut man Brücken der Kommunikation. Das führt zu gegenseitigem Verständnis und Toleranz.“ Sie hofft, dass sich dieser Gedanke auch in Europa, etwa in der Flüchtlingspolitik, stärker durchsetzen wird.

Food Coops auch in Österreich

Tatsächlich wird das Modell der Lebensmittelgemeinschaften auch in Österreich immer populärer. Landesweit gibt es etwa 80 bis 100 Food Coops, etwa zwanzig davon je in Wien und Oberösterreich – doch die Wirtschaftskammer Oberösterreich (WKOÖ) hat vor kurzem gedroht, sie wolle die Einkaufsgemeinschaften klagen. Die WKOÖ kritisiert unter anderem, dass sich Food Coop Mitglieder beim Einkauf die Handelsspanne ersparen und die Coops dadurch einen Wettbewerbsvorteil haben.

Anders als etwa die beschriebene Food Coop in den USA sind jene in Österreich meist als Vereine organisiert und müssen – wie etwa auch Bauernmärkte – keinen Gewerbeschein vorweisen. Dadurch fallen die Produkte in Österreich nicht unter die Lebensmittelaufsicht, teilweise entfalle auch die Umsatzsteuerpflicht, beklagt die WKOÖ. Bisher hat die Kammer noch nicht Anzeige erstattet, der oberösterreichische Landesrat Rudolf Anschober hat für Ende Juni einen runden Tisch zu dem Thema angekündigt.

Zurück zur Food Coop in New York, die nicht nur Ort des Einkaufs, sondern auch beliebter Treffpunkt ist; Filmabende, Kochkurse, Schreibwerkstätten, jedes Mitglied ist aufgefordert, sich im Redaktionsteam der „Linewaiters Gazette“, einer eigenen Coop-Zeitung, zu beteiligen.

In der Gazette sind alle zwei Wochen die internen Debatten nachzulesen – doch nicht nur dort; seit Jahren wird diskutiert, ob man aus Solidarität mit Palästina israelische Produkte wie Soda Stream aus dem Sortiment verbannen sollte. Als die Food Coop darüber ein Referendum abhalten wollte, hat sogar die „New York Times“ darüber berichtet. Das Referendum fand letztendlich nicht statt, doch der Nah-Ost-Konflikt im Kleinen ist keineswegs beendet; in der Food Coop finden regelmäßig Treffen beider Streitparteien statt.

Zuletzt wurde verlangt, bei diesen Treffen Security bereitzustellen, beim letzten Workshop wurde die Polizei gerufen, worauf der Aufsichtsrat die Treffen in den Räumen der Food Coop untersagt hat. Nun muss sich der Vorstand vorwerfen lassen, er gehe undemokratisch vor.

Politischer Aktivismus

Politischer Aktivismus hat in Park Slope Tradition; während der Apartheid in Südafrika wurden südafrikanische Produkte aus den Regalen verbannt, als Pinochet an der Macht war, wurden keine chilenischen Trauben angeboten. Auch Nestlé und Coca Cola sucht man in den Gängen vergebens. Ein weiterer Feind ist Plastik: Wasser in Plastikflaschen wird nicht verkauft, Plastik-Einkaufssackerl sind seit 2008 tabu.

Beim monatlichen Mitgliedertreffen Ende Mai wollten einige einen Schritt weitergehen. Es wurde abgestimmt, ob die kleinen Plastiksackerl, die für Obst oder Getreide verwenden werden, ebenfalls verbannt werden sollen. In dem dreistündigen Treffen in dem riesigen Auditorium einer benachbarten Schule brachten Redner aus dem Publikum dutzende Argumente für und wider vor, letztlich sprach sich eine überwiegende Mehrheit gegen den völligen Plastikbann aus.

Vielleicht sollten die Amerikaner einen Betriebsausflug nach Österreich unternehmen: Kleine Greißler am Land und die Mass-Greisslerei im 2. Wiener Gemeindebezirk kommen völlig ohne Plastikverpackungen aus. Müllvermeidung, Nachhaltigkeit und Gemeinschaftsgedanke: Brooklyn und die Leopoldstadt, immerhin Partnerbezirke, könnten wohl Einiges voneinander lernen.

Eine Food Cooperative („Food Coop“, zu Deutsch: Lebensmittelkooperative) ist ein Zusammenschluss von Personen und Haushalten, die selbstorganisiert biologische Produkte direkt von lokalen Bauernhöfen und Gärtnereien beziehen. Historischer Vorläufer sind die Konsumgenossenschaften des neunzehnten Jahrhunderts. Indem große Mengen direkt von den Erzeugern bezogen und Mindestbestellmengen der Großhändler erreicht werden und es sich für Bauern lohnt, in die Stadt zu fahren, kann man als Mitglied einer Food Coop preiswerter und ohne Gewinnmarge des Einzelhandels einkaufen. Das funktioniert von Fall zu Fall unterschiedlich: Es gibt Bestell-Food Coops, die nur gemeinsam bestellen, Lager-Food Coops, die ein gemeinsames Warenlager unterhalten, und Mitgliederläden, bei denen Personal für den Unterhalt eines gemeinsamen Ladens sorgt.