Ö1-Bericht über Musikunterricht

by Bettina Figl

Musik ist nach wie vor ein Randthema an Österreichs Schulen

Pisa und Mini-Matura, Gesamtschule und Bildungsvolksbegehren – Schulthemen werden politisch heiß diskutiert. Doch wie wirkt sich das auf den Stundenplan aus? Bleibt da noch Platz für Kunst? Musik in den Schulen ist sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch an den Schulen meistens ein Randthema.

Der Ö1-Beitrag ist am 03.02.2011 als Kulturjournal gesendet worden und ist hier nachzuhören.

Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum, sagte schon Nietzsche. Was würde der Philosoph wohl dazu sagen, dass im vermeintlichen Musikland Österreich Musik in den Schulen oft als reiner Frontalunterricht abgehalten, und gerne als erstes vom Stundenplan gestrichen wird? Doch den allgemeinen Tenor, Musik würde in Zeiten von Pisa immer mehr an den Rand gedrängt, kann Michael Wimmer vom Kulturforschungsinstitut educult nur eingeschränkt unterstützen.

Ministerin Schmied schlug vor, jede Schule solle mit einer Kultureinrichtung zusammenarbeiten, dies funktioniere aber kaum, so Wimmer. So arbeiten zwar einige Volksschulen bereits mit Musikschulen zusammen und in der Hochschul-Ausbildung herrsche hohe Qualität, es gebe jedoch „eine Reihe von Standorten, wo zum Teil gar keine geprüften Musiklehrer und -lehrerinnen unterrichten.“

In Wien ist die Lage besonders dramatisch: An 70 Prozent der Wiener Hauptschulen wird Musik nicht von ausgebildeten Musikern unterrichtet, stattdessen etwa von einem Mathematiklehrer, der zwar in seiner Freizeit Gitarre spielt, aber keinerlei akademische Musikausbildung hat.

Schüler musizieren

Auch an den Höheren Schulen ist das Lehrpersonal knapp. Den zumeist künstlerisch bestens ausgebildeten Musikern fehlt es wiederum oft an pädagogischen Kenntnissen. Nicht so in der Neuen Mittelschule Kandlgasse in Wien: Seit drei Jahren unterrichtet hier Pirio Nenonen. Die Finnin ist ausgebildete Musik- und Gesangslehrerin und war in Finnland in der Lehrerausbildung tätig.

Heute sitzt sie am Klavier und gibt den Schülern der 3b durch lautes Stampfen den Takt vor. Im Musiksaal wechseln die zwanzig Schüler einander an den Instrumenten ab und singen begeistert mit. Vor zweieinhalb Jahren konnten die wenigsten von ihnen ein Instrument spielen, heute spielen sie alle Schlagzeug, Gitarre und Bass.

Doch Pirio Nenonens Art, Musik zu unterrichten, stieß auch auf Widerstand, besonders in der Oberstufe, wo man Theorieunterricht gewohnt war: „Sie haben gesagt: nein, wir haben das bis jetzt nie gemacht, wir werden das auch jetzt nicht machen.“ Es habe zwar einige Zeit gedauert, aber zuletzt „haben sie selbst Choreographie gemacht“. Und heute sei die erste Frage der 8. Klasse zu Beginn der Musikstunde: „Wir singen doch heute, oder?“ Heute sind sich die Acht-Klassler einig: Für sie ist die Praxis im Musikunterricht ein Qualitätsmerkmal.

Musik als gemeinsame Sprache

Gemeinsames Musikmachen kann viel mehr bewirken, als man auf den ersten Blick erwarten würde, ist Michael Wimmer überzeugt. So sei Musik eine ganz wichtige Dimension der Integrationsarbeit, „wenn Jugendliche draufkommen, das gibt’s in Dalmatien und das gibt’s in Serbien und das gibt’s in Kroatien – und es ist jeweils ein unterschiedlicher Text unterlegt, und wir haben sehr schnell einen interdisziplinären Ansatz. Das ist es, was einen guten, zeitgemäßen Musikunterricht ausmacht.“

Musik als gemeinsame Sprache könnte auch an Musikschulen gesprochen werden, aber davon gibt es in Wien gerade einmal 17 Stück. Hier nehmen zirka 8.500 Jugendliche Unterricht in Flöte, Saxophon oder Gesang. Zum Vergleich: In Niederösterreich sind es fast 54.000 bei vergleichbarer Einwohnerzahl.

Unterschiedliche Ausbildungen

Heute können viele Kinder keinen Unterschied zwischen hohen und tiefen Tönen erkennen – etwas, das sie eigentlich in der Volksschule lernen sollten. Ferdinand Breitschopf, Fachinspektor für Musik im Stadtschulrat Wien, sieht in der Struktur der Lehrerausbildung eklatante Mängel. Er meint, die besten Pädagogen müssten an den Grundschulen unterrichten, „wir haben aber die schlecht bezahltesten und die tendenziell am kürzesten ausgebildeten Pädagoginnen in der Grundschule.“

Die Pflichtschullehrerausbildung die Musik betreffend sei in jedem Bundesland anders und auch qualitativ sehr unterschiedlich. „Sicher würden sich viele Volksschullehrer wohler fühlen, wenn sie sich mit einer Selbstverständlichkeit mit der Gitarre in die Klasse setzen und ein Lied einstudieren könnten.“

Derzeit verhandeln Bund und Lehrergewerkschaft über die Vereinheitlichung der Lehrerausbildung. Egal ob Pflichtschullehrer, die bisher an Pädagogischen Hochschulen ausgebildet wurden, oder AHS-Lehrer, die einen Uni-Abschluss brauchen: Alle sollen künftig durch ein einheitliches Dienst- und Besoldungsrecht gleichgestellt werden. Am IMP, dem Institut für Musikpädagogik in Wien, befürchtet man dadurch ein Down-Grading des Lehramtsstudiums.

Gesellschaftliches Bewusstsein

Brigitte Lion, wissenschaftliche Mitarbeiterin am IMP und Leiterin des Musikpädagogischen Zentrums, meint, Junglehrer bräuchten gerade in der schwierigen Anfangszeit mehr Unterstützung. So schildern ihre Absolventen Folgendes: „Das ist ja ganz anders, die Klassen sind so groß, die können ja alle nicht singen.“ Diese Umstände gebe den Lehrern nicht die Möglichkeit, das, was sie können, zu vermitteln. Die Lehrer brauchen Unterstützung, so Lion: „Ohne Unterstützung werden’s schlechte Lehrer.“

Doch Schuld an dem geringen Stellenwert, den das Fach Musik an vielen Schulen hat, sind nicht die Lehrer, es fehle vielmehr am gesellschaftlichen Bewusstsein für Musik, sagt Ferdinand Breitschopf vom Stadtschulrat: Er vermisst eine Diskussion, „was das Bildungsziel neben den Leistungskriterien ist, neben diesem Fit-Sein für den Beruf. Die Gemütsentwicklung eines Menschen, also: kann der mit sich umgehen, kann sich der in der Gruppe gut einordnen – alles Dinge, die beim Musizieren ständig gefragt sind, die auch mitgeübt werden“, so Breitschopf. Dies sei schon lange nicht mehr größer thematisiert worden, „und deshalb kommt ein Fach wie Musik innerschulisch gerne als erstes unter die Räder.“

Heiltherapie Musik

In der Therapie wird Musik längst zur Heilung von psychischen und physischen Problemen angewandt – davon könnten Kinder und Jugendliche ebenfalls profitieren. „Junge Menschen, die eine Beziehung zu Musik aufbauen und sie aktiv pflegen, kommen besser durch Krisen“, meint Brigitte Lion vom Musikpädagogischen Zentrum. Sie findet es wichtig, Musik als Chance den Menschen zur Verfügung zu stellen, den Bildung bedeute „Chance geben, und da gehört das für mich zu den elementare Beiträgen, die eine Gesellschaft der nächsten geben sollte.“

Das sehen auch immer mehr Eltern, Lehrer und Schüler so. Auch wenn allmählich gesellschaftlicher und politischer Wille für besseren, intensiveren Musikunterricht da ist – von heute auf morgen wird sich am österreichischen Schulsystem wohl nichts ändern. Nicht nur, dass der „Apparat namens Schule“ 200 Jahre lang gewachsen ist, auch parteipolitisches Hick-Hack lässt eine rasche Reformierung des Schulsystems in weite Ferne rücken. Und auch falls wir eines Tages flächendeckend guten Musikunterricht haben sollten: Die Qualität einer Musikstunde wird wohl weiterhin vom Engagement der einzelnen Lehrer abhängen.