Ruhe nach dem Sturm

by Bettina Figl

Ein Deli-Besitzer in Brooklyn beim Schneeschaufeln nach dem Blizzard.© Figl

Ein Deli-Besitzer in Brooklyn beim Schneeschaufeln nach dem Blizzard.

Schaufeln und Rodeln statt hektischem Treiben: Mit den Schneemassen kehrte in der Megacity New York Langsamkeit ein.

New York. Autos, Parkbänke, Fahrräder: Alles ist von einer meterhohen, strahlend weißen Schneedecke überzogen. Nachdem am Samstag einer der schwersten Schneestürme der vergangenen Jahrzehnte die US-Ostküste lahmgelegt hat, ist es in der Millionenmetropole New York ungewöhnlich still. In Brooklyn – nach Manhattan der am dichtesten besiedelte Bezirk der USA – sind am Sonntagmorgen nur wenige Menschen unterwegs.

Kein einziges Auto ist in Sicht, jene wenigen, die schon auf den Beinen sind, stapfen auf der Straße durch den Schnee, denn am Gehsteig würden sie knietief im Schnee versinken. „Eigentlich sollten seit 7 Uhr Früh die Busse wieder fahren, ich habe weit und breit keinen gesehen“, schimpft ein Mann. Er versucht nun, zu Fuss in die Arbeit zu gelangen.

Dieser Artikel ist am 24.1.2016 in der „Wiener Zeitung“ erschienen. Eine Bildergalerie findet sich hier.

„Happy Sunday, wir haben überlebt“

Der Schneesturm war laut „New York Times“ der zweistärkste seit 1869, nur wenige Zentimeter haben gefehlt, um alle Rekorde zu brechen. Der Blizzards legte nicht nur die 8-Millionen-Metropole New York komplett lahm: In mehr als zehn US-Staaten war Ausnahmezustand ausgerufen worden, an der Küste kam es zu heftigen Überschwemmungen. Zehntausende Menschen saßen an Flughäfen fest, mehr als 6000 Flüge waren storniert worden. Mit den Worten „Happy Sunday, wir haben überlebt“, begrüßte New Yorks Gouverneur Andrew M. Cuomobei Journalisten am Sonntagmorgen bei einer Pressekonferenz.

Doch nicht für alle ist das Schneechaos glimpflich verlaufen. 18 Menschen sind allein am Samstag gestorben. Einige von ihnen kamen bei Verkehrsunfällen oder infolge eines Herzversagens beim Schneeschaufeln ums Leben. Dabei gab es in der Stadt immer noch weniger Niederfälle als etwa in Maryland und West Virginia, hier war zum Teil mehr als ein Meter Schnee gefallen.

Urbanes Rodeln auf Karton und Plastik

Nach dem ruhigen Sonntagmorgen herrscht ab Mittag in der Stadt Aufbruchsstimmung: Bei strahlendem Sonnenschein und klirrender Kälte pilgern Scharen von Familien und Sportlern durch die 68 Zentimeter dicke Schneedecke zu den Parks. Viele haben Schneeschuhe oder Langlaufskier dabei, andere setzen auf fahrbaren Untersatz: Wer keine Rodel besitzt, gleitet auf Luftmatratzen, Karton oder Plastikbehältern die urbanen Schneehügel herab. In den Gassen schaufeln Bewohner ihre Geschäfts- und Hauseinfahrten oder ihre Autos frei.

SNOWBOARDING WITH THE NYPD

Gouverneur Andrew Cuomo hat am Sonntag das Fahrverbot für Autos und die gesperrten Brücken und Tunnel von und nach New Jersey wieder aufgehoben. Die Aufräumarbeiten werden wohl bis weit in die kommende Woche andauern. New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio sagte, er hoffe die angekündigten wärmeren Temperaturen würden den Schnee zum Schmelzen bringen und so die Arbeiten erleichtern. Er kündigte an, die Schulen werden am Montag wieder öffnen. Ab Samstagnachmittag galt in der Stadt eine Reisesperre, viele Bewohner wurden von meterhohen Schneebergen vor ihren Häusern ohnehin zum Daheimbleiben gezwungen.

Schneeengel auf der 34. Straße

Ab Samstagabend, als sich ab etwa 22 Uhr das Schneegestöber beruhigt hatte, tobten Menschen auf der 34. Straße in Manhattan im Schnee herum, machten „Schneeengel“ und fotografierten einander mit ihren Handkameras. Die Stadt, von der man sagt, sie würde niemals schlafen, wirkte fast wie ausgestorben: Selbst am Times Square, wo sonst stets reges Treiben herrscht, waren wenige Menschen anzutreffen. Alle Broadway-Shows sowie Spiele der Basketballliga NBA waren abgesagt worden.

Der Großteil der Menschen war dem offiziellen Aufruf, drin zu bleiben, also gefolgt. Schon im Vorfeld hatten sie sich im großen Stil mit Vorräten eingedeckt: Am Freitagabend standen die Menschen vor dem Eingang des beliebten Bio-Supermarkt Trader Joe’s in Manhattan meterlang an, um sich mit Sixpacks und Chips für ein Wochenende vor dem Fernseher zu rüsten.

„Ein Schneesturm belohnt Trägheit und bestraft die Macher“, schreibt New York Times-Journalist David Dudley in seiner lesenswerten Kolumne. Ein weiser Rat – denn die Tage, in denen Schneemassen eine Megacity wie New York zum Erstarren bringen und ihre Bewohner zum Nichtstun zwingen, sind rar.

Info: Blizzards sind heftige Schneestürme mit starken Temperaturstürzen. 56,3 Kilometern in der Stunde, mindestens drei Stunden lang, starker Schneefall und Sichtbehinderungen: So definiert die US-Wetterbehörde NOAA einen Blizzard. Dabei fegt Kaltluft aus den arktischen Regionen Kanadas nach Süden. Bei oft bis zu minus 35 Grad Celsius lässt der Blizzard unter einem Schnee- und Eispanzer auch weite Teile der USA erstarren und bringt – wie an diesem Wochenende an der US-Ostküste – das öffentliche Leben zum Erliegen.