Sackerl oder Packerl?

by Bettina Figl

(c) Stanislav Jenis

(c) Stanislav Jenis

Demo-Training vor WKR-Ball: Linke Aktivisten üben Sitzblockaden und wie man an Polizei vorbeikommt. Mit angezogenen Beinen am Boden sitzend, die Arme darunter verschränkt, kompakt wie ein geschnürtes Paket. Eigentlich ganz kommod. Die Polizei, gespielt von zwei jungen Linken, marschiert an. Mit den Worten „Wie war das bei Pilates? Aus den Knien heben?“ packen sie die Demonstrantin im schwarzen Antifa-Look und tragen sie davon. Das ist die „Packerlmethode“. „Wenn die Polizei mit Schlagstöcken oder den Füßen mithilft, ist es weniger gemütlich“, wird erklärt.

Dieser Artikel ist am 22.1.2015 in der Wiener Zeitung erschienen.

Wir befinden uns beim Blockadetraining in einem linken Beisel in Wien. Wenige Wochen vor dem Akademikerball (ehemals „WKR-Ball“) wappnen sich Aktivisten für das große Katz-und-Maus-Spiel am 30. Jänner in der Wiener Innenstadt. Mit Blockaden wollen sie verhindern, dass die Ballgäste die Hofburg erreichen.

„Strampeln ist Widerstand gegen die Staatsgewalt“
An der Bar köcheln Spaghetti vor sich hin, im Vorraum wird zwischen Flugblättern und Bücherregalen voller anarchistischer Literatur fein säuberlich der Ablauf des Abends auf einem Flip Chart skizziert. Das heutige Lernziel: a) Blockieren und b) unverletzt die Auflösung der Blockade überstehen. „Die Polizei muss dreimal ankündigen, dass sie die Blockade auflösen wird“, sagt Eva Lenz (Namen der im Text genannten Aktivisten geändert, Anm.).

Die Workshop-Leiterin hat schon beim G8-Gipfel in Heiligendamm und bei Blockupy in Frankfurt blockiert und führt die „Sackerlmethode“ – die Alternative zum Packerl – vor: Man streckt Hände und Füße von sich, macht sich schwer wie ein nasser Sack. Das ist für beide Seiten ungemütlich: Der Polizei kostet das Wegtragen mehr Kraft („sie wird leichter wütend“) und für Blockierer ist die Verletzungsgefahr groß. „Kopf zur Brust – achtet auf den Nacken“, „Nicht strampeln, das ist Widerstand gegen die Staatsgewalt“ und „Ruhig auch einmal laut schreien: ‚Sie tun mir weh‘, das erschreckt die Polizei“, rät Lenz den jungen Frauen und Männern.

Die Polizei, der Feind? Die Beamten haben schließlich die rechtsstaatliche Verpflichtung zu ermöglichen, dass ein genehmigter Ball stattfinden kann. Ist es da legitim, ihnen das Leben schwer zu machen? „Wir üben nicht, gegen die Polizei vorzugehen, sondern wie wir eine Blockade machen. Gegen den WKR-Ball zu protestieren ist unser Recht, und die Polizei muss dafür sorgen, dass wir das tun können“, sagt Anna Pospischil, von der „Interventionistischen Linken“, die den Workshop organisiert hat. Dafür, dass der Ball stattfinden darf, hat sie kein Verständnis: „Wir sind nicht einverstanden, dass sich die rechtsextreme Elite in der Hofburg trifft.“

Daher übt sie sich mit Gleichgesinnten im Aktivismus und rät, in der Bezugsgruppe zur Demo zu gehen. Diese besteht aus drei bis zwölf Menschen und hat einen Namen, um sich in chaotischen Situationen wiederzufinden. Innerhalb der Gruppe gibt es „Buddies“, die voneinander Namen und Geburtsdatum kennen, falls jemand abgängig ist. Vorab macht man sich aus, für wen Hunde, für wen Wasserwerfer ein No-Go sind und wie weit man gehen will.

Das Bezugsgruppensystem entstand während des Spanischen Bürgerkriegs, wurde in der Antikriegsbewegung in den USA der 1960er-Jahre erprobt, und kam etwa bei der WTO-Tagung in Seattle zum Einsatz. In Österreich, wo es abgesehen von den Protesten in Hainburg wenig Erfahrung mit zivilem Ungehorsam gibt, sind Blockaden noch kaum erprobt. Vereinzelt wurden in den Vorjahren bei der WKR-Ball-Demo Taxis an der Zufahrt behindert, sodass Ballgäste frühzeitig aussteigen mussten. Heuer wollen Bündnisse wie die „Interventionistische Linke“ und „NOWKR“ mehr Blockierer mobilisieren. Bisher wurden drei Blockaden angemeldet, damit wollen Aktivisten zum Mitdemonstrieren einladen. Es ist aber kaum zu erwarten, dass am Ballabend die breite Öffentlichkeit mit Sitzkissen und Thermoskannen anrücken wird. Anders als in Deutschland, wo antifaschistischer Widerstand einen breiten Konsens hat, wird dieser hierzulande oft mit Militanz und Gewaltbereitschaft assoziiert.

Doch wogegen wird eigentlich protestiert? Der Wiener Korporationsring (WKR), eine Vereinigung von Burschenschaftern, lud ab 1952 zum Ball, seit 1968 findet der Ball alljährlich in der Wiener Hofburg statt. Dass der Ball ausgerechnet in den Repräsentationsräumen der Republik stattfindet, zählt zu einem der größten Kritikpunkte. 2013 wurde die Veranstaltung in „Akademikerball“ umbenannt. Seither wird er offiziell von der FPÖ veranstaltet, da die Pächter der Hofburg die Räume ansonsten nicht mehr zur Verfügung stellen wollten. Unter den Gästen befand sich bis vor wenigen Jahren das Who-is-Who der internationalen Rechten, darunter Marie Le Pen und der NPD-Kader, inzwischen verirren sich kaum noch prominente Gesichter nach Wien. „Von den Ballgästen im Vorjahr war Kevin Hauer (von der Bürgerbewegung pro NRW, Anm.) der Einzige, der irgendeine Relevanz hatte“, sagt Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands. Nicht nur die Zahl der prominenten Ballgäste ist im Schrumpfen begriffen: 2014 sollen es nur noch 800 gewesen sein, die drin tanzten und sich als Opfer der linken Demonstranten vor der Hofburg stilierten. Peham meint, die FPÖ wolle den Ruf des Vernetzungsortes der internationalen Rechten „eher loswerden“.

Eine Genugtuung für die Aktivisten, die nach 22 Uhr immer noch trainieren. Die letzte Übung für heute: Durchfließen. Das bedeutet so viel wie an der Polizei vorbeizukommen, wenn diese zu wenig Personal für eine Straßensperre hat und die Beamten wie auf einer zu locker aufgeschnürten Perlenkette nebeneinanderstehen. „Auf die Lücken schauen und seinen Buddy an der Hand nehmen“, sagt Lenz und zeigt es vor: Mit einem schwungvollen Seitenschritt gleitet sie an einem „Polizisten“ vorbei. „Es ist ein bisschen wie Walzertanzen. Schließlich ist Ballsaison“, sagt ihr Kollege Wolfgang Grünewald und grinst.

Die Stimmung am Ballabend wird wohl nicht ganz so locker sein. Zwar verliefen die Proteste im Vorjahr großteils friedlich, in der Inneren Stadt wurden jedoch Fenster eingeschlagen und Steine auf die Polizei geworfen. Als ein Aktivist im Antifa-Beisel in der Rolle des Polizisten einen Blockierer in Sackerl-Pose wegtragen will, stöhnt er: „Oh mein Gott ist der schwer. Ich werde niemals Polizist.“ Klingt fast nach ein wenig Empathie für den „Feind“.