Auf der Suche nach Dr. Sex
Ärzte sprechen Patienten zu selten auf Sexleben an.
Wien. Der Hörsaal ist bis auf den letzten Platz gefüllt, der Professor doziert über erigierte Penisse und feuchte Vaginen: Alfred Kinsey hat mit seiner Lehre über menschliche Sexualität dem prüden Amerika der 1940er Jahre die Schamesröte ins Gesicht getrieben; seine Forschung leitete die Sexuelle Revolution ein. Vom revolutionären Geist eines „Dr. Sex“, wie Kinsey in dem gleichnamigen Roman von T.C. Boyle genannt wird, ist 70 Jahre später wenig geblieben, könnte man meinen. Denn im Jahr 2014 wird an österreichischen Universitäten Sexualmedizin lediglich als Freifach unterrichtet, wie Elia Bragagna, Leiterin der Akademie für Sexuelle Gesundheit (AfSG), kritisiert. Seit fünf Jahren bietet die AfSG Sex-Fortbildung für Ärzte an, privat und auf freiwilliger Basis – aber nur noch bis 2015, dann will Bragagna die Akademie schließen: „Wir wollen dem Staat nicht mehr die Arbeit abnehmen“, und fordert: „Jeder Mediziner muss ein sexualmedizinisches Basiswissen verfügen, wenn er die Uni verlässt.“
Dieser Artikel ist am 2.6.2014 in der Wiener Zeitung erschienen.