Das Krankenhaus der Zukunft

by Bettina Figl

Die Pandemie stellt die Spitäler vor neue Herausforderungen. Sie müssen sich radikal ändern. Dieser Essay ist am 14.3.2021 in der Wiener Zeitung erschienen.

In Luxemburg entsteht derzeit das Südspidol, ein Projekt des Wiener Architekturbüros Wimmer. (c) Health Team Europe

Im Jänner 2020 wurden in Wuhan innerhalb von zwei Tagen Notfall-Krankenhäuser in der Größe von 20 Fußballfeldern aus dem Boden gestampft. Wenige Wochen später waren Intensivstationen in Italien völlig überlastet, es wurde triagiert: Das medizinische Personal wählte Patienten aus, die behandelt werden können, der Rest wurde sich selbst überlassen. Die Pandemie, deren Ende trotz Impfung nicht in Sicht ist, ist für das moderne Gesundheitswesen ein Einschnitt, den es in dieser Form noch nie gab.

Heute sterben mit oder an dem Coronavirus weltweit noch immer mehr als 10.000 Menschen täglich. Die Lage ist trotz zahlreicher Mutationen dennoch übersichtlicher als im Frühjahr 2020. Wir wissen inzwischen viel mehr über das Virus: Wie wir uns vor ihm schützen können. Dass regelmäßiges Testen unerlässlich ist. Wie wichtig es ist, die Anzahl der Intensivbetten rasch erhöhen zu können und infektiöse Patienten sofort abzusondern. All diese Erkenntnisse schlagen sich in der Arbeit von Architekten nieder. Das Krankenhaus und die Art und Weise, wie es konzipiert und gebaut wird, steht vor einer Revolution. Noch ist man ganz am Anfang, doch sicher ist: Die Pandemie wird die Spitäler nachhaltig verändern.

„Krankenhäuser sind derzeit stark damit beschäftigt, sich auf künftige Pandemien besser vorzubereiten“, sagt Austin Ferguson, der für das Stuttgarter Architekturbüro Heinle, Wischer und Partner arbeitet und auf den Gesundheitsbereich spezialisiert ist. „Seit Covid-19 denken wir darüber nach, wie man ganze Gebäudeteile eines Krankenhauses isolieren kann, ohne den Betrieb im Rest des Hauses zu behindern. Mit den neuen Erfahrungswerten kann der pandemische Notfall viel konkreter erprobt werden, ähnlich wie in der Notaufnahme seit jeher für Massenunfälle trainiert wird.“

Als sich das Coronavirus im Frühjahr 2020 über den Globus ausbreitete, lebte der US-amerikanische Architekt in New York, wo man zu Beginn der Pandemie besonders viele Todesfälle zu verzeichnen hatte. Das neuartige Virus wirkte sich unmittelbar auf seine Arbeit aus: Ein Wartezimmer, in dem die Stühle nahe beieinanderstehen? Ein solcher Entwurf war plötzlich undenkbar. Inzwischen lebt der Architekt in Berlin, hat dort sechs Impfzentren realisiert und sagt: „In Zukunft muss die Infrastruktur in der Krise schnell angepasst und Intensivstationen rasch erweitert werden können.“ Als Beispiele für technische Add-ons nennt er die Verfügbarkeit zusätzlicher medizinscher Gase, Steckdosen oder Lüftungssysteme, die etwa für die Versorgung von Covid-19-Patienten im kritischen Zustand erforderlich sind.

Wie sieht es also aus, das Spital der Zukunft? Check-ins wie am Flughafen, Patienten und Besucher, die nicht aufeinandertreffen, sowie ambulante Patienten, die nur mit Termin drankommen. All das sind laut Herwig Wetzlinger, stellvertretender Direktor des Wiener Gesundheitsverbunds und Direktor der Teilunternehmung am AKH Wien, Merkmale eines modernen Krankenhausbetriebs. „Patienten, die nach ihrer Operation in der Tagesklinik entlassen werden, sind nicht im stationären Bereich untergebracht. Das erleichtert den Ablauf sehr“, sagt Wetzlinger.

„Wohlfühloasen“ im Spital

Architekten, die mit dem Bau von Krankenhäusern betraut sind, sprechen gerne über „Wohlfühloasen“ und meinen damit Patienten- und Personalräume, in denen man sich gerne aufhält. Im Vergleich zu heutigen Krankenhäusern ist der Bettenanteil kleiner, die Bauweise ressourcenschonend. Pandemietaugliche Krankenhäuser bestehen aus großen, offenen Bereichen und kleineren Einheiten, in denen infektiöse Patienten bei Bedarf isoliert werden können. Dem Einzelzimmer wird der Vorzug gegeben. Glaswände sollen, so geschieht es bereits in Skandinavien, der sozialen Isolation vorbeugen – wobei der Patient diese Wände jederzeit blickdicht schalten kann.

Aber wie ist es um Krankenhäuser in Österreich bestellt? Sind diese für pandemische Zeiten gerüstet? „Ganz wesentlich ist es, bei den Patientenströmen nicht infektiöse von infektiösen Patienten zu trennen. Bei der baulichen Umsetzung haben wir hier noch Nachholbedarf“, sagt Wetzlinger. Ein wichtiger Beitrag zur Minimierung der Infektionsgefahr seien überdies Terminambulanzen und gering ausgelastete Wartebereiche. Wetzlinger: „Hier kann man organisatorisch noch nachschärfen.“

„In den meisten Ausschreibungen steht bereits, dass das Konzept pandemietauglich sein soll“, berichtet Andreas Frauscher, CEO des Wiener Architects Collective, das sich auf Großprojekte im Gesundheitsbereich spezialisiert hat. „Ein eigener Zugang für infektiöse Patienten ist in jedem modernen Krankenhaus Standard. Die Verbindung zwischen dem Aufnahmezimmer und der Isolationsstation ist jedoch noch nicht Usus. „Das wird sich in den nächsten Jahren bessern“, sagt Richard Klinger, ebenfalls CEO des Architects Collective, welches unter anderem das Klinikum Klagenfurt umgesetzt hat und derzeit mit dem Umbau eines Teils des Uniklinikums am Wiener AKH betraut ist.

Seit der Pandemie liegt das Augenmerk auf der Trennung von Patientenströmen, flexiblen Raumkonzepten und ausgeklügelten Lüftungssystemen. Basieren diese beispielsweise auf Unterdruck, können Keime beim Öffnen der Zimmertüre nicht nach außen treten.

Spricht man über moderne Spitäler in Österreich, kommt man am Krankenhaus Nord nicht vorbei. Das Spital, das heute Klinik Floridsdorf heißt, geriet wegen Mehrkosten und dubioser Auftragsvergabe (Stichwort „Energiering“) in die Schlagzeilen, doch architektonisch ist wenig zu beanstanden. „Die Klinik Floridsdorf ist eines der modernsten Krankenhäuser in Europa“, sagt Wetzlinger vom Gesundheitsverbund. Mitarbeiter und Patienten loben vor allem den 47.000 Quadratmeter großen Landschaftspark, auch „Healing Garden“ genannt. Das Zwei-Wege-Prinzip und Terminvergaben sollen verhindern, dass ansteckende auf nicht-infektiöse Menschen treffen.

Wie in der Klinik Klagenfurt setzt man auch hier auf fahrer- und schienenlose Transportsysteme. Mitarbeiter kritisieren den langen Weg zur Zentralgarderobe – die Weitläufigkeit ist in Krankenhäusern immer ein Thema -, aber sie loben das Tageslicht, welches es sogar in Operationssälen gibt, sowie Terrassen und Balkone. Diese stellen für Patienten, die oftmals durch dunkle Gänge geschoben werden und aufgrund von Medikamenten oder Narkosen womöglich verwirrt sind, einen Bezug zur Außenwelt dar und erleichtern die Orientierung.

Architektur, die heilt

„Am Tag nach der Operation steht der Patient auf, geht vielleicht zum Bettenfenster. Am zweiten Tag betritt er die Terrasse. Am dritten Tag macht er Übungen im Therapiegarten, und am vierten Tag wird er entlassen“, schildert Architekt Albert Wimmer, der bei der Klinik Floridsdorf federführend war, das Idealszenario. Auch die Kinderpsychiatrie des AKH Wien verfügt seit Oktober 2020 über einen begehbaren Dachgarten.

Wer im Krankenhaus ist, befindet sich oft in einer Notsituation. Die Atmosphäre ist wichtig. „Ein Krankenhaus darf nicht nach Krankenhaus riechen“, sagt Wimmer. Diese „Soft Facts“ sind für den Genesungsprozess der Patienten, aber auch für das Personal, das ohnehin oft überbelastet ist, wichtig. „Das ist dem Auftraggeber aber oft nur schwer vermittelbar“, erklärt Klinger, dessen Architects Collective bei der Umsetzung der Klinik Floridsdorf als Konsulent beteiligt war. Sein Kollege Frauscher ergänzt: „Selbstbestimmte Patienten werden schneller gesund und haben eine kürzere Aufenthaltsdauer. Das ist auch ein wirtschaftlicher Faktor.“

Untermauert wird diese These von einer wachsenden Anzahl wissenschaftlicher Studien, die den Einfluss der baulichen Umgebung auf Interaktion, Verhalten und Wohlbefinden erforschen. Auch Fragen der Sicherheit, Hygiene, Arbeitseffizienz, Fehlervermeidung und Kommunikationsverhalten werden untersucht.

„Idealerweise trägt die architektonische Komposition und Gestaltung des Gebäudes dazu bei, dass Patienten sich wohlfühlen, schneller genesen und Arbeitsabläufe sicher und effizient ablaufen. Der Mehrwert liegt also nicht nur beim Wohlbefinden des Einzelnen, sondern auch bei Betrieb und Ökonomie“, erklärt Christine Nickl-Weller, die gemeinsam mit ihrem Mann ein international tätiges Architekturbüro mit Sitz in München leitet. Die Architektin ist Expertin für sogenannte Healing Architecture und hatte 13 Jahre lang den Lehrstuhl für Architecture for Health an der Technischen Universität Berlin inne, wo es seit 2009 einen entsprechenden Forschungsschwerpunkt gibt.

Wie aber kann Architektur dazu beitragen, dass das Krankenhauspersonal entlastet wird? „Die Wege sollten kurz und effizient sein, Räume dürfen nicht Stress erzeugen, sondern diesen abbauen, es müssen Flächen für Rückzug und Kommunikation angeboten werden, ein schneller und direkter Zugang zum Außenraum muss ermöglicht werden“, erklärt Nickl-Weller. Die von ihr erforschte „heilende Architektur“ hat ihren Ursprung in den 1980er Jahren.

Wegweisend war eine Studie des Architekturprofessors Roger Ulrich, bei der zwei Gruppen von Patienten nach identischen Operationen verglichen wurden: Eine Gruppe blickte vom Krankenbett auf einen Park mit Bäumen, die andere Gruppe auf die Mauer des Nachbarhauses. Patienten, die das Grüne im Blick hatten, benötigten deutlich weniger Schmerzmittel, litten seltener an Depressionen und konnten im Schnitt einen Tag früher entlassen werden.

Natur im Krankenzimmer

Auf natürliche Baumaterialien und den Zugang zur Natur als Mittel zur schnelleren Genesung setzen Krankenhäuser schon lange. Als das medizinische Wissen noch deutlich geringer war als heute, waren Frischluft und Tageslicht ein wesentlicher Bestandteil der Behandlung, weshalb Patienten nahe der Natur untergebracht wurden. Mit dem Hôpital Lariboisière in Paris oder dem St. Thomas’ Hospital in London entstanden Mitte des 19. Jahrhunderts zu diesem Zweck erste Spitäler im Pavillon-Stil, 1907 folgte das Wiener Otto-Wagner-Spital am Steinhof im 14. Bezirk. Das Krankenhaus, das heute Klinik Penzing heißt, war damals eine der modernsten und größten Psychiatrischen Kliniken Europas.

In den 1950er Jahren haben sich, von den USA ausgehend, hermetisch abgeschlossene und dichte Krankenhäuser als effiziente Heilungsmaschinen immer mehr durchgesetzt. „Pavillon-Krankenhäuser sind jedoch viel besser geeignet, die Ideen der ‚heilenden Architektur‘ zu verwirklichen“, sagt Ferguson.

„Großer Schritt nach vorne bei der Telemedizin“

Bei Überlegungen zur idealen Bauweise spielt auch Technologie eine immer größere Rolle. „Wir haben in Österreich in der Telemedizin im vergangenen Jahr einen großen Schritt nach vorne gemacht“, sagt Wetzlinger. Diese ist damit auch ins Visier der Architekten gerückt. „Akustik und Beleuchtung sind hier entscheidend. Nur so können Ärzte den Zustand des Patienten klar erkennen und beurteilen“, sagt Ferguson und erzählt, dass immer mehr Trauma-Patienten virtuell überwacht werden und mit dem Pflegepersonal in Echtzeit interagieren. „Das könnte dazu beitragen, dass Krankenhäuser in ländlichen Gebieten weiterhin bestehen können.“

Doch brauchen wir tatsächlich in jedem Bezirk ein Spital? Früher war es wichtig, dass sich das Krankenhaus möglichst nah am Wohnort befindet. Heute ist das anders. Im Notfall wird man von einem Hubschrauber innerhalb von wenigen Minuten in eine Spezialambulanz gebracht. Der Trend geht zu spezialisierten „Superspitälern“, wie es Dänemark vormacht: Das skandinavische Land legt Spitäler schwerpunktmäßig zusammen und krempelt seine gesamte Krankenhauslandschaft um. Gleichzeitig werden in Wiener Neustadt, Baden und Neunkirchen südlich von Wien drei Spitäler in unmittelbarer Nähe voneinander errichtet – Anachronismus pur.

Auch bei der Zimmerbelegung ist man in Österreich nicht ganz auf der Höhe der Zeit. Während in Skandinavien oder den USA fast nur noch Einzelzimmer gebaut werden, teilt man sich hierzulande das Spitalszimmer oft mit drei bis fünf anderen Patienten. „Das ist in Zeiten von Pandemien natürlich nicht ideal“, sagt Frauscher und argumentiert: „Die Kosten von Einzelzimmern sind anfangs höher. Doppelzimmer sind aufgrund nicht-kompatibler Patienten aber nicht immer ausgelastet und das ist auch nicht wirtschaftlich. Einzelzimmer kann man immer belegen.“ Auch in Österreich werden bei Neubauten inzwischen fast ausschließlich Ein- und Zweibettzimmer errichtet. Ausschließlich auf Einzelzimmer zu setzen wäre hierzulande aufgrund der etablierten Behandlungsabläufe kaum möglich, erklärt Wetzlinger. In skandinavischen Ländern, wo im Patientenzimmer behandelt werde, sei das einfacher.

In manchen Ländern kommt man gar nicht ins Spital, wenn man vorher nicht im niedergelassenen Bereich war. „Auch bei uns wäre der niedergelassene Bereich noch ausbaufähig. Das entlastet Ambulanzen“, sagt Klinger. Im angloamerikanischen Raum haben sich „Patient Hotels“ etabliert, in denen Patienten in unmittelbarer Nähe des Spitals übernachten. Einen solchen Filterbau gibt es bei der Klinik Floridsdorf in Form eines Gesundheitskompetenzzentrums mit Arztpraxen und betreutem Wohnen. Die Stadt Wien ist zudem gerade dabei, Erstversorgeambulanzen flächendeckend aufzubauen. Das AKH verfügt über eine solche Ambulanz seit 2016. „Das hat sich bewährt, Patientenströme sind damit viel besser lenkbar“, sagt Wetzlinger. Die Stadt erarbeitet derzeit ihren regionalen Strukturplan, der etwa die Anzahl der Patientenbetten bis 2025 regelt. „Hier bedarf es keiner Erhöhung, wir diskutieren eher die Qualität der Betten.“

Architektin Nickl-Weller rät zu einem nationalen Krankenhausplan, der Überkapazitäten verhindert und vorhandene Ressourcen besser verteilt. „Wir brauchen mehr vorausschauende Investitionen. Statt ‚auf Kante‘ zu planen, müssen wir flexibel belegbare Reserveflächen einplanen. Wir brauchen auch mehr Raum für psychosoziale Belange wie Aufenthaltsbereiche für Personal, Kinder oder Familien“, sagt Nickl-Weller, deren Architekturbüro seit Jahrzehnten Spitäler und Gesundheitsbauten rund um den Globus plant und realisiert.

Trend zur Mehrfachnutzung

„Spitäler verfügen heute über viele spezifische Räume, aber der Trend geht zur Mehrfachnutzung“, meint auch Wimmer. Ferguson hat das in Form eines „universellen Patientenzimmers“ umgesetzt: Der Patient bleibt während seines gesamten Aufenthalts im selben Zimmer. Man findet überall identische Räume vor und das Spital kann Stationen flexibel erweitern, verkleinern oder verlagern. Da jeder Krankenhaus-Flügel auf demselben Modul basiert, passen eine Bettenzimmerstation, ein OP-Bereich oder eine Ambulanz in das gleiche strukturelle Raster.

Das Spital wird sich weiter spezialisieren, vorwiegend komplexe Fälle behandeln. Die Behandlung von chronischen Krankheiten wird sich immer mehr in den ambulanten Bereich verlagern. „Hält dieser Trend an, könnte es in Zukunft unüblich sein, jemals ein Spital aufsuchen zu müssen, außer in kritischen Fällen“, sagt Ferguson. Er fordert den Ausbau von Dienstleistungen auf Community-Ebene. Denn mit der steigenden Anzahl chronischen Erkrankungen brauche es einfacheren Zugang zu präventiven Maßnahmen.

Der Weg zur medizinischen Versorgung sollte so kurz und unkompliziert wie möglich sein, meint Architekt Ferguson: „Derzeit wird viel darüber diskutiert, wie Krankenhäuser fluider und wandelbarer werden. Doch um schnell mehr Raum zu bekommen, muss man nicht immer bauen: Man könnte auch auf bereits existierende, kommunale Infrastruktur wie Schulen oder Pfarrheime zurückgreifen, wenn diese gerade nicht in Betrieb sind.“ Testungen in Apotheken, psychologische Heimbetreuung oder die Wiener Schnupfenboxen sind also erst der Anfang. Gesundheitsdienstleistungen werden künftig vermehrt zu den Bürgern kommen, und nicht umgekehrt.