Den Montag übermalt

by Bettina Figl

(c) Stanislav Jenis

(c) Stanislav Jenis

Fehleinschätzung oder alles im Sinne der Menschenrechte? Die Räumung der „Pizzeria Anarchia“ wird noch immer heftig diskutiert. Nicht nur das Gründerzeithaus in der Mühlfeldgasse, das zweieinhalb Jahre von Punks besetzt war, wird einen Tag nach der Räumung übermalt und ausgeräumt. Auch die Aufarbeitung des umstrittenen Einsatzes der Polizei Wien hat begonnen. Polizeiintern wird evaluiert, und extern heftig debattiert. Vor allem geht es dabei um die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes. Von Bettina Figl und Christian Rösner, erschienen am 29.7.2014 in der „Wiener Zeitung“.

Was war geschehen? Am Montagmorgen sind 1700 Polizeibeamte mit Panzern, Hubschrauber und Wasserwerfern gegen 19 Punks in einem besetzen Haus in Leopoldstadt vorgerückt – wobei die Polizei nur bestätigen will, dass „sicher nicht weniger als 1000 Beamte“ im Einsatz waren. Kostenpunkt: Zumindest 750.000 Euro, wahrscheinlicher ist eine Million Euro.
Ausnahmezustand
Den ganzen Tag lang herrschte in Wien Ausnahmezustand: In der Früh parken Dutzende Polizeiautos in der Prater Hauptallee, den ganzen Tag über ist in der Mühlfeldgasse und der Heinestraße kein Durchkommen. Journalisten wird der Zugang zu dem besetzten Haus versperrt und ihnen wird mit Anzeige gedroht. Nachts verhindern Polizeibeamte die Durchfahrt bei der unteren Berggasse im Alsergrund, eine Handvoll junger Menschen sitzt vor der Haftanstalt, wo die 19 Punks eine Nacht lang einsitzen. Inzwischen sind 15 Männer und vier Frauen wieder auf freiem Fuß.

Sie hatten in der Mühlfeldgasse eine ehemalige Pizzeria zweieinhalb Jahre lang besetzt und in „Pizzeria Anarchia“ umgetauft. Sie waren eingezogen, nachdem ihnen die Hauseigentümer selbst angeboten hatten, hier sechs Monate kostenlos zu wohnen. Doch das Angebot hatte einen Haken: die vermeintlichen Störenfriede sollten die letzten Mieter des Hauses hinausekeln. Dann sollte die Liegenschaft umgebaut und gewinnbringend verwertet werden. Doch der Schuss ging nach hinten los: Punks und Altmieter verbünden sich, die Punks blieben nach Ablauf der Halbjahresfrist.

Eine aufwendige Delogierung
Also griffen die Vermieter zu drastischeren Mitteln und verstreuten Müll im Gang, bedrohten die Hausbewohner. Ein Anrainer beschreibt auf der Homepage des Mieterschutzverbandes den „Beschützerinstinkt“ der Punks: „Wenn es in der Nacht wieder an der Tür bumpert, sind die Punks zur Stelle und verscheuchen den nächtlichen ungewollten Besuch.“

In Wien gibt es täglich Delogierungen, und dennoch war der Einsatz am Montag nicht alltäglich: Insgesamt dauerte er zehn Stunden, da sich die Punks verbarrikadiert hatten – nicht nur ein Fernseher, auch Fäkalien flogen aus dem Fenster. „Das ist das Standardprogramm der Hausbesetzer“, sagt Reinhard Kreissl, wissenschaftlicher Leiter des Wiener Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie. Er zeigt sich verwundert über die „offensichtliche Fehleinschätzung der Polizei“.

Urlaub unterbrochen
Hunderte Polizisten seien aus Ober- und Niederösterreich „herbeigekarrt“ worden, einige von ihnen mussten sogar ihren Urlaub abbrechen. Die Polizei soll damit gerechnet haben, dass 300 Anarchisten aus Deutschland anreisen. „Es ist, als hätten sie erwartet, dass die ganze Leopoldstadt plötzlich aufsteht und gegen die Polizei mit Knüppeln vorgeht“.

Doch wer hat den Einsatz angeordnet, und wer trägt die Verantwortung? Den Einsatz anzuordnen, zu kontrollieren und durchzuführen ist Aufgabe der Wiener Polizei – und die agiert in gewisser Weise autonom. Rechtlich gesehen hat war es eine Assistenzdienstleistung; quasi Polizeischutz für den Gerichtsvollzieher.

Als die „Wiener Zeitung“ ob etwaige Konsequenzen beim Innenministerium anfragt, wird sie auf die Pressestelle der Polizei Wien verwiesen. Kreissl, der auch Schulungen mit der Polizei durchführt, berichtet vom schlechten Verhältnis zwischen der Polizei und dem Ministerium: „Da kracht und knirscht es immer wieder.“

Der Kriminalsoziologe führt regelmäßig Schulungen mit Exekutivbeamten durch und spricht von einer „Mentalität der Paranoia“: „Oft beschweren sich Beamte, dass ihre Autorität nicht anerkannt wird.“ Doch gute Polizisten seien ein „Bürgerservice – nicht Kämpfer gegen das Verbrechen, die im Wega-Style mit Gummi-Knüppeln vorgehen“, sagt der Kriminalsoziologe.

„Die Polizei hat Angst. Sie weiß nicht, in welcher Stadt sie lebt, in welcher Kultur und lebt ein paranoides Freund-Feind-Schema.“ Hier müsste man ansetzen, sagt Kreissl, der seit Jahren an einem Projekt zu menschenrechtskonformer Polizeiarbeit beteiligt ist.

Nun wird der Polizeieinsatz intern evaluiert. Dabei wird wohl auch der Frage nachgegangen werden, ob die Verhältnismäßigkeit gegeben und der Einsatz gesetzeskonform war. Auch nach den umstrittenen Einsätzen bei den Demonstrationen gegen den WKR-Ball und gegen den Identitären-Aufmarsch hat es diese Evaluierungen gegeben. Was hat es gebracht? „Die Auftritte waren weniger martialisch“, sagt Kreissl.

„Mehr Beamte, weniger Gewalt“
Der Vorstand des Instituts für Strafrecht und Kriminologie an der Uni Wien, Helmut Fuchs, sieht sehr wohl eine Verhältnismäßigkeit bei dem Einsatz am Montag. Er meint, je mehr Beamte im Einsatz sind, desto mehr kann die Verletzung von Personen verhindert werden: „Wenn die Polizei mit Gewalttätigkeiten rechnet, dann muss sie mit mehr Leuten auffahren, damit sie schonend vorgehen kann – im Sinne der Menschrechte und der Verhältnismäßigkeit der Folgen“, so Fuchs.

Teures Menschenrecht
Er räumt allerdings ein, dass 1700 Beamte „schon eine sehr hohe Zahl ist“. Unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit gegenüber der Gefährdung der betroffenen Personen seien 1700 Polizisten gerechtfertigt. „In der Verhältnismäßigkeit vom Mitteleinsatz durch Steuergelder kann das natürlich anders ausschauen“. Aber die Polizei bemühe sich stets auf der sicheren Seite zu sein, damit es zu keinen großen Straßenschlachten kommt – „immerhin war bei dem Einsatz keine Rede von verletzten Personen und das ist aus menschenrechtlicher Sicht eine schöne Sache“, so Fuchs.

Doch haben sich die Punks mit ihrem Vorgehen – auf Beamte urinieren, Fäkalien schmeißen – nicht letztlich ihrem politischen Anliegen geschadet? „Das ist Subkultur“, meint wiederum Kreissl. „Wir leben in einer Gesellschaft, in der man sich viel bieten lassen muss, aber nicht unbedingt von der Polizei“.