„Der TU-Student ist nicht unbedingt der, der protestiert“
by Bettina Figl
Studierende strömen aus dem TU-Gebäude am Getreidemarkt, vergleichen ihre Rechenergebnisse und ziehen weiter in den Innenhof. Es ist Tradition, dass sich TU-Studierende nach Prüfungen vor der Fachschaft treffen, auf ein Bier. Oder zwei. Oder zehn. „Es ist ein Frust-Besäufnis“, sagt Wolf Farber, und: „An der TU Wien zu studieren war der größte Fehler meines Lebens.“ Seit fünf Jahren studiert er Maschinenbau, seit fünf Jahren scheitert er an der Mechanik-Prüfung. Dieser Artikel ist am 22.6.2017 in der „Wiener Zeitung“ erschienen.
Besteht er die Prüfung diesmal wieder nicht – es ist sein fünfter Antritt –, droht die Exmatrikulation. Farber ist kein Einzelfall. 97 Prozent der Studierenden fielen bei der Zwischenprüfung einer Mechanik-Übung durch. Die Zahlen, die die Hochschülerschaft der TU (HTU) Wien am Dienstag dieser Woche veröffentlicht hat, will das Rektorat nicht bestätigen. Die Information stamme von einem Studierenden, sagt die HTU Wien, die nicht nachvollziehen kann, warum das Institut für Maschinenbau die Durchfallquoten nicht herausrückt.
Trotz schwüler Hitze ist die Luft im Innenhof des TU-Gebäudes weniger dick als bisher nach Mechanik-Prüfungen. Anstatt wie bisher 45 Minuten hatten die Studierenden am Mittwoch 60 Minuten Zeit. Die Studierenden berichten auch, das Beispiel sei „lösbar“ gewesen. Die Verbesserungen fielen nicht vom Himmel. Mehr Zeit, größere Testbögen, fairere Punktevergabe, etwa für den richtigen Gedankengang: Das fordern Studierende seit Jahren. Die Entscheidung, ob die Prüfungsdauer generell verlängert wird, steht noch aus, so das Rektorat auf Anfrage der „Wiener Zeitung“.
Im Vorjahr hat eine Maschinenbau-Studentin auf Eigeninitiative eine Umfrage gestartet, fast 900 Studierende nahmen teil und schrieben Dinge wie: „Das ganze Institut ist ein Chaos“, „Die Tests sind unfair“, „Man will gar nicht, dass wir abschließen“. Kurt Matyas, Vizerektor für Lehre, habe sie daraufhin um ein Gespräch gebeten, das positiv verlief. „Die Zusammenarbeit mit dem Rektorat ist gut“, sagt auch Andreas Potucek vom HTU-Vorsitzteam, „doch die Dinge werden nicht umgesetzt, da man Angst hat, dass die Lehrenden Revolte machen.“
Auf Prüfungsergebnisse wartet man mitunter doppelt so lange wie die gesetzlich erlaubten vier Wochen. Versteht man eine Frage nicht, sagen Professoren: „Wenn Sie das nicht verstehen, kann ich Ihnen auch nicht weiterhelfen.“ Verwunderlich, dass die Studierenden nicht revoltieren. „Der TU-Student ist nicht unbedingt der, der protestiert“, sagt Farber, der wie alle Studierenden nicht mit seinem richtigen Namen zitiert werden will. Niemand will es sich mit den Professoren verscherzen, so lange das Studium nicht abgeschlossen ist.
Studierender gründete Nachhilfe-Institut
Eine Ausnahme ist Jakob Stracke. Er hat früher selbst als Tutor am Institut für Mechanik gearbeitet, steht kurz vor seinem Bachelor-Abschluss und sagt: „Lehre ist an der TU nicht vorhanden, seit 20 Jahren wird mit denselben Beispielen gearbeitet. Man muss es den Studierenden erklären.“ Der 29-Jährige hat vor drei Jahren „eine Lücke entdeckt“ und begonnen, Nachhilfe anzubieten. Heute hat er drei Mitarbeiter, betreut mehr als 900 Studierende pro Jahr.
Auch Max Aigner war sein Nachhilfeschüler, er hat die Mechanik-Prüfungen inzwischen geschafft, und sieht die Lehre an der TU Wien weniger kritisch als seine Kommilitonen: „Wenn du dich mit der Materie beschäftigst, einige Monate lernst, ist es kein Problem.“ Der 25-Jährige studiert seit 15 Semestern – was an der TU keine Seltenheit ist – und hat den Master so gut wie in der Tasche. Ihm fehlt nur noch die gefürchtete Prüfung in Maschinenelemente. Aigner stört, dass ihm zu wenig Zeit und Energie für „richtig coole Freifächer“ im Bereich KFZ-Technik bleibt, die Professoren von Magna, BMW oder Mercedes, praxisnah unterrichten.
Die HTU rief Studierende dazu auf, ihre Erfahrungen zu schildern, erhielt um die hundert E-Mails in nur einer Woche, in denen Studierende und Eltern verzweifelt berichten, das jahrelange Studium führe zu Existenzängsten. Farber ist sich ziemlich sicher, dass er den Test am Mittwoch bestanden hat. Wenn er jetzt noch den Wiederholungstest in Mechanik II besteht, hat er die Mechanik-Übung geschafft.