Die Straßen erobern

by Bettina Figl

erschienen in der „Wiener Zeitung“ am 11.05.2011

London, Rom, Singapur: City-Maut und autofreie Innenstädte sind in modernen Städten Usus. Doch Wien ist immer noch ein Autofahrer-Eldorado. Trotzdem wird über Kurzparkzonen und Parkgaragen-Preise gejammert. Und die Radfahrer, diese gefährlichen Raudis!

Sie schwitzen und strampeln, verursachen weder Lärm noch Abgase und sind auf einmal die Bösen? Zugegeben, die meisten Radler sind schon einmal bei Rot über die Ampel gefahren, und oft fallen Überholmanöver eher knapp aus. Dass sie bei viel zu schmalen Fahrradstreifen den Autos ab und zu in den Weg kommen, ist kein Wunder. Doch mit einer defensiven Fahrweise würden sie niemandem einen Gefallen tun: Jeder, dem schon einmal ein unsicherer Radfahrer – der Lenker eng umklammert, die Linienführung wackelig – entgegengestrampelt ist, weiß wovon die Rede ist.

Radfahren wird einem in Wien nicht leicht gemacht: Auf Auto-Tempo angeglichene Ampeln, gemeingefährliche Radwege, die benutzt werden müssen. Die Benützungspflicht ist laut Experten Humbug – nur wenn ein Radweg nicht befahrbar ist, darf auf die Straße ausgewichen werden. Wie im Winter, wenn Schnee konsequent von der Straße auf die Radwege geschaufelt wird. Doch begibt man sich als Radler auf die Straße, wird man von Autofahrern beschimpft, und sobald man gegen die Einbahn fährt sowieso (obwohl das in Wohnstraßen erlaubt ist, auch wenn nicht „ausgenommen Radfahrer“ dabei steht). Radeln sie – traumatisiert von aufgerissenen Autotüren – mit genügend Abstand zu parkenden Autos, dürfen sie sich auf ein Hupkonzert gefasst machen (das ist übrigens auch verboten).

Das Problem ist, dass Radler in Wien nicht als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer, sondern als Randgruppe angesehen werden – und das sind sie auch: Gerade einmal fünf Prozent der Verkehrsteilnehmer fahren in Wien Rad – in Kopenhagen sind es siebenmal so viele, 35 Prozent.

Während es in der Wiener City zumindest ein Bewusstsein für Radfahrer gibt, wird das Verlassen der Bezirke innerhalb des Gürtels mitunter zum Kamikaze-Akt: Abbiegende Autofahrer schauen nicht, Radwege sind mit Schlaglöchern übersät und führen mitunter ins Nirwana. Tja, Wien ist anders. Deshalb müssen mehr Radfahrer auf die Straße, und sie erobern. Denn das Leben ist gefährlich, und zu Tode gefürchtet ist auch gestorben.