ÖH-Wahl: Kampf um die mäßig interessierten Studenten

by Bettina Figl

Im Endspurt des ÖH-Wahlkampfs geben die Fraktionen nochmal alles: Packerlsuppe, Parties, Pubquiz und Sexspielzeug zum Selberbasteln. Sie diskutieren über Politik, demonstrieren gegen soziale Missstände und beteiligen sich selbstverständlich an Wahlen. So stellt man sich Studierende in der Regel vor. Doch zumindest Letzteres ist längst keine Selbstverständlichkeit mehr.

erschienen in der „Wiener Zeitung“ am 21.05.2011

Das zeigt nicht nur die traditionell geringe Wahlbeteiligung an den Wahlen zur Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH), sondern auch ein Rundgang der „Wiener Zeitung“ auf Wirtschafts- und Hauptuniversität.

„ÖH-Wahl, wann ist die überhaupt?“

Auf die Frage, ob sie bei der ÖH-Wahl ihre Stimme abgeben, kommt oft die Gegenfrage: „Wann ist die überhaupt?“ Das will auch Lucija Milicevic wissen. Die kess gekleidete Jus-Studentin – Fliegerbrille, Shorts, rosa Converse – sitzt vor der Bibliothek der Wirtschaftsuniversität (WU) und macht eine Lernpause. Sie sagt lakonisch: Sie habe noch keinen Gedanken an die ÖH-Wahl verschwendet. Die Zweitsemestrige erzählt, sie habe zwar schon „1000 Zettel“ über die ÖH-Wahl mit nach Hause genommen, aber sich noch nicht damit auseinandergesetzt – schließlich hat sie gerade eine stressige Prüfungswoche hinter sich gebracht.

Mit der Studienvertretung am Juridicum sei sie aber zufrieden: „Die sind total nett, als ich kein Praktikum gefunden habe, haben sie mir gute Tipps gegeben.“ Neben ihr sitzt Monika Barisic, sie studiert ebenfalls im zweiten Semester, ebenfalls an der WU. Die Studentin der Volkswirtschaftslehre ist aber prinzipiell mit der Beratung ihrer Studienvertretung zufrieden. Ob sie wählen geht, hat sie sich aber noch nicht überlegt. Die jungen Frauen sind keine Einzelfälle: Das Gros der Studierenden hat sich mit der ÖH-Wahl bisher eher wenig auseinandergesetzt.

An der WU stellt die ÖVP-nahe AktionsGemeinschaft (AG) die stimmenstärkste Partei, 2009 hatte sie hier die Zweidrittelmehrheit. Das macht sich auch bei den Wahlkampfständen bemerkbar; der AG-Stand ist der weit größte von allen.

Doch trotz Gratis-Kaffee und -Eistee ist an diesem späten Vormittag eher wenig los: Abseits des Wahlkampfteams lehnen nur Simon Eidenhammer und sein Studienkollege an einem AG-Stehtisch. Beide studieren Betriebswirtschaftslehre. Eidenhammer kaut an einem Weckerl und erzählt, er habe bei der letzten ÖH-Wahl nicht gewählt. Heuer werde er von seinem Recht aber schon Gebrauch machen, denn ihn störten „ein paar Aktionen“ der AG.

WU ist AG-Terrain – das passt nicht allen hier

Zum Beispiel habe sie die Studierendenvertretung der Volkswirtschaftslehre abgeschafft – einfach so. Das erzürnt hier viele, und auch die oppositionellen Fraktionen haben es sich zum Ziel gemacht, die AG-Alleinherrschaft auf der WU zu brechen.

Deren Wahlkampfstände hat die AG vorsichtshalber außer Sichtweite platziert. Dadurch bleibt ihnen der Anblick erspart, dass der Stand des Verbands Sozialistischer Studenten (VSStÖ) ganz gut besucht ist. Vielleicht liegt’s an den frischen Kipferln, die es dort zu holen gibt. Auch Eidenhammer sagt schmunzelnd, er habe sein Frühstück „schon auf Wahlkampf umgestellt“.

Am VSStÖ-Stand kniet Julia Niederleithner auf dem Boden. Die Studentin mit den roten Haaren und der Brille schreibt auf ein Plakat in großen Lettern: „Ist Wissenschaft Männersache?“ Sie sagt, der VSStÖ entspreche am ehesten ihren „innersten Überzeugungen“ und fährt fort: „Anders als mit einem sozialen System, bei dem niemand durchs Netz fällt, geht es nicht.“

Alex Linhart sieht das ähnlich, er hat sich in seiner Vorlesungspause zu ihr gesellt und hilft beim Ausschneiden der Plakate. Auch Patrick Pechmann, VSStÖ-Sekretär der WU, ist vor Ort und „ratscht mit den Studis“, wie er es nennt. Er glaubt, heuer werden mehr Studierende wählen gehen: „Weil so viel bildungspolitisch passiert ist, das hat uns aufgeweckt.“

Das glaubt auch Feri Popp von den JuLis, den Jungen Liberalen: „Die ‚uni brennt‘-Bewegung hat die Bildungspolitik in die Medien gebracht“, sagt der Blondschopf und spricht damit die Studienproteste vor zwei Jahren an. Heuer sei es anders als vor zwei Jahren, als langweilige Themen und geringe Unterscheidungsmerkmale der Fraktionen den Wahlkampf dominiert hätten, so Popp. Enthusiastisch weist er darauf hin: Die Spitzenkandidatin sei gerade wieder abgerauscht, aber er werde sie anrufen, „die kann alle Fragen beantworten“.

Bei den Wahlen 2009 ist es für die JuLis nicht besonders gut gelaufen: Sie waren weder auf Bundes- noch auf Universitätsebene in der ÖH vertreten. Heuer probieren sie es wieder, Spitzenkandidatin Claudia Gamon pendelt zwischen Juridicum und WU. Sie erklärt, die JuLis seien für eine „Komplettreform des Hochschulsystems“. Man wolle nachgelagerte Studiengebühren einführen, wie es sie in Australien gibt: Zurückzahlen muss man diese nur, wenn man später genug verdient. Überall im Ausland koste Studieren etwas, und „Österreich ist keine Insel“. Bei den meisten Studierenden kommt das gar nicht gut an, den JuLis wird oft vorgeworfen, studentenfeindliche Politik zu betreiben.

Am Stand der Kommunistischen Studentenvertretung (KSV) ist niemand anzutreffen, es gibt keine Wahlgeschenke – einzig ein KSV-Plakat liegt über dem verwaisten Stand ausgebreitet.

Da sieht es am Stand der Grünen und Alternativen Studenten (Gras) schon besser aus, hier können sich Studierende für den Alltag ausrüsten: Frisbee, Stressball, Filtertips – „und Inhalte“, sagt Tinja Zerzer. Man wolle und könne sich nicht auf die „Materialschlacht der AG“ einlassen, sagt sie und drückt Vorbeikommenden einen grünen Zettel in die Hand. Auf diesem werden die hohen Preise für ÖH-Kurse angeprangert: Die Kosten für den Mathematikkurs seien um rund 60 Prozent gestiegen, heißt es da. Inzwischen kostet der Kurs, der auf schwierige Knock-Out-Prüfungen vorbereiten soll, 58 Euro.

Auch vor der Hauptuni wird Wahlkampf betrieben. Heuer probieren es die JuLis auch hier, wo sie 2009 aus formalen Gründen nicht antreten durften. Drei Wahlhelfer stehen vor der Uni-Rampe der Hauptuni, verteilen Fyler. Sie haben einen schwarzen Retriever dabei, auch er hat ein gelbes JuLi-Tuch umgebunden. Gut gelaunt erzählt Lisa Grübl: Zuerst hätten sie sich fast nicht zur Hauptuni getraut, denn sie hätten hier einen „schlechten Stand“. Auf Juridicum und WU seien die Studierenden besser auf sie zu sprechen, aber hier auf der Hauptuni: Anfeindungen der Studierenden, zerstörte Plakatständer und heruntergerissene Wahlplakate.

Packerlsuppe, Pubquiz, Sexspielzeug basteln

VSStÖ, Gras und AG verfolgen derweil sehr unterschiedliche Taktiken, um Wähler anzulocken: Auf dem AG-Stand kann man sich mit Packerlsuppe und Vanillemilch eindecken, von Gras und VSStÖ wird man zu Filmabenden und Pubquiz eingeladen, oder aber zum Gras-Workshop für Frauen, bei dem sie lernen, wie man Sexspielzeug selber basteln kann. Wahrscheinlich will man so an den Erfolg von vor zwei Jahren anschließen: 2009 hat die Gras auf der Uni Wien vor der AG die meisten Stimmen bekommen.

Heuer machen sich bei den Wahlkampf-Teams erste Müdigkeitserscheinungen bemerkbar, dennoch glauben sie fest daran: Die Wahlbeteiligung werde heuer höher ausfallen, denn die „unibrennt“-Bewegung habe Bildungspolitik wieder in die Medien gebracht.

Zur Erinnerung: Im Oktober 2009 besetzten hunderte Studierende das Audimax, den größten Hörsaal des Landes, und forderten unter anderem mehr Geld für Bildung. Fast zwei Jahre später hat sich nicht viel geändert. Davon zeugen rote Luftballons, die vor dem Audimax schweben. Auf ihnen haben die Studierenden ihre weitgehend gleich gebliebenen Wünsche formuliert: „Bessere Qualität ohne Studienplatzbeschränkung, keine ungerechten Studiengebühren – was ist mit den Reichen?“

Und schließlich trifft man im Arkadenhof der Hauptuni doch noch auf Studenten, wie sie im Buche stehen: Felix Weiß studiert Kunstgeschichte, trägt Brille und Bart und für ihn ist völlig klar, dass er wählen geht: „Es ist mir wichtig, mein demokratisches Recht in Anspruch zu nehmen, und ich will meine Studienrechte vertreten wissen.“ Seine wichtigsten Anliegen: keine Studiengebühren, keine Zugangsbeschränkungen. Und warum sollte Studieren in Österreich gratis und ohne Regelungen sein, während es fast überall sonst etwas kostet? „Als eines der reichsten Länder sollten wir uns das leisten, gerade weil es etwas Einzigartiges ist. Es ist verdammt schwer, aber das ist doch ein super Zeichen.“

Numerus Clausus in Deutschland ändern

Doch auf Nachfrage gibt er zu: Es gebe Gerüchte, dass in Zukunft immer mehr Deutsche an österreichische Unis drängen sollen, und das findet er gar nicht gut. Er findet, Deutschland müsse seine Zugangsbeschränkungen ändern „und nicht wir unsere“. Neben ihm sitzt Pirmin Ujhely, und wirft ein: „Der Numerus Clausus ist eine Katastrophe.“ Ujhely studiert Biologie, hat rote Schneckerl und geht auch wählen, „weil’s mich betrifft. Und weil ich gratis studieren möchte.“