Feministinnen braucht das Acholi-Land

by Bettina Figl

thumb_DSC_1524_1024Krieg, Flucht und Gewalt haben Frauen in Uganda schwer getroffen. Gemeinsam überwinden sie ihr Trauma.

Christine Auma bahnt sich den Weg durch das Dickicht, bis sie das Dorf erreicht. Mit einem Lappen wischt sie sich den Schweiß von der Stirn, dann wendet sie sich den Männern zu, die im Schatten eines Mangobaums sitzen. Vor ihnen geht sie auf die Knie, ihr zitronenfarbenes Kleid berührt kurz den roten Erdboden. Die kniende Begrüßung gilt in vielen afrikanischen Stämmen als Zeichen des Respekts.

So auch bei den Acholi, jener Stammesgruppe, die im Norden Ugandas beheimatet ist. Lehmhütten mit Strohdächern und Solarzellen, eine Oase inmitten von Bananenbäumen: Auma lebt in einem kleinen Dorf nahe Pader. Die Hauptstadt der gleichnamigen Region im Norden Ugandas wurde im Jahr 2000 aus dem Boden gestampft. Damals hatten sich hier viele Hilfsorganisationen angesiedelt, um den Wiederaufbau nach dem ugandischen Bürgerkrieg zu unterstützen. Dieser Artikel ist am 7.6.2018 in der Wiener Zeitung erschienen.


Nachdem Präsident Yoweri Museveni die Macht in dem Land übernommen und die Schreckensherrschaft des Diktators Milton Obote beendet hatte, kämpften Musevenis Männer gegen Widerstandsgruppen. Auch die Zivilbevölkerung war von Mord, Vergewaltigungen und Entführungen betroffen, viele flohen in die Nachbarländer, womit Ugandas Politiker gerne die derzeitige Willkommenspolitik begründen: Man habe aus der eigenen Fluchtgeschichte gelernt, heißt es. Heute gilt Uganda als vergleichsweise sicher.

Sohn als Kindersoldat missbraucht

Auch Auma ist viel Leid widerfahren: Vor exakt 20 Jahren stürmten die Rebellen zum ersten Mal ihr Haus, verbrannten Zeugnisse und Dokumente. Vier Jahre später entführten sie zwei ihrer drei Kinder: Zuerst nahmen sie ihren Sohn, der damals elf Jahre alt war, mit. Vermutlich wurde er als Kindersoldat eingesetzt. In Ostafrika gehören laut dem UNO-Kinderhilfswerk Unicef etwa 19.000 Kinder bewaffneten Gruppen an.

Kindersoldaten sind gleichzeitig Opfer und Täter. Sie müssen Dörfer überfallen, Menschen töten oder vergewaltigen, oft unter Androhung des eigenen Todes. Vielleicht kämpft er immer noch, vielleicht ist er tot. Was mit ihrem Sohn geschah, weiß Auma bis heute nicht. Sie hat nie wieder von ihm gehört. Nur eine Woche, nachdem ihr Elfjähriger entführt worden war, kamen die Rebellen wieder, töteten Aumas Ehemann und kidnappten ihre damals neunjährige Tochter. 14 Jahre später gelang ihrer Tochter gemeinsam mit einer anderen jungen Frau die Flucht. Sie war damals schwanger und hatte ihre zweieinhalbjährige Tochter bei sich.

Mehr als ein Jahrzehnt lang hatte sie sich in Gefangenschaft der Rebellen befunden, heute arbeitet sie als Näherin. Ihre beiden Kinder gehen inzwischen in die Schule, sie werden von der Dorfgemeinschaft akzeptiert – ihre Mutter jedoch nicht. Ihr, die sichtbar traumatisiert zurückgekehrt war, haftet bis heute ein Stigma an, weil sie mit den Rebellen gelebt hat. In der Region weiß jeder, dass Mädchen und junge Frauen bei den Milizen oft sexuell missbraucht werden. Auma spricht offen über ihre Suizid-Gedanken, die sie damals hatte: „Ich dachte an nichts anderes als an den Tod. Wenn die Menschen mir Rat geben wollten, habe ich sie einfach ignoriert. Alles kam mir unnötig vor. Ich war schwer traumatisiert, bin fast verrückt geworden.“

Die Frauen im Dorf klopften damals immer wieder an ihrer Tür und forderten sie auf, an einem der Treffen der Dorfspargruppe teilzunehmen. In diesen schließen sich Menschen zusammen, die in entlegenen Regionen leben und deshalb oft keinen Zugang zu Banken haben. Mit ihrem Ersparten geben sie einander Mikro-Kredite. Auf diese Art und Weise wird in ruralen Gegenden seit mehr als 25 Jahren gespart. Auma hat sich überreden lassen und kam zu einem der Treffen mit. Heute ist sie Kassiererin einer solchen Spargruppe. Vor Aumas Haus bilden Frauen und Männer einen Kreis um eine schwere Metalltruhe, die mit zwei Schlössern gesichert ist. Hier sind die Ersparnisse des Dorfes gebunkert.

Patriarchale Strukturen in Uganda fest verankert

Die Frauen sitzen auf dem Boden, die wenigen Männer, die heute anwesend sind, haben wie selbstverständlich auf Holzstühlen Platz genommen. Eine Kuh, fünf Kälber, vier Ziegen, ein Ochse: Die Frauen zählen auf, was sie sich mit ihrem Erspartem schon alles leisten konnten: Ein junger Mann finanziert so sein Studium, für das er in die Hauptstadt pendelt. Die Spargruppen führen nicht nur zu größerer finanzieller Unabhängigkeit: Auf wöchentlicher Basis treffen sich die Frauen, tauschen sich aus und lernen voneinander. Das ist wichtig, denn patriarchale Strukturen sind in Uganda fest verankert. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Frauen ohne Zustimmung des Mannes nicht ihr Haus verlassen dürfen. „Zu Beginn war es vorgesehen, dass sich nur Frauen Dorfspargruppen anschließen dürfen – doch die Männer fühlten sich ausgeschlossen, und die häusliche Gewalt nahm sogar zu“, erzählt Betty Akullo, und fügt hinzu: „Inzwischen gibt es deshalb eine Männerquote von 30 Prozent.“

Vor 22 Jahren hat die Rechtsanwältin die Frauenrechtsorganisation „Women and Rural Development Network“ gegründet. Ihre NGO bildet gemeinsam mit der Hilfsorganisation Care jene Frauen aus, die die Spargruppen leiten. Auch Akullo stammt aus der Region, auch sie hat eine Fluchtgeschichte: Da ihre Familie während des Bürgerkriegs fliehen musste, wuchs Akullo in Tansania auf. Ab dem Jahr 2000 beruhigte sich die Lage, 2006 waren die meisten wieder zurückgekehrt und versuchten, sich ein neues Leben aufzubauen. Vor allem die Frauen waren oft traumatisiert, viele von ihnen hatten sexuelle Gewalt erlebt.
„Es waren vor allem die Frauen, die einander unterstützen, auch psychologisch, vor allem aber solidarisch“, berichtet Akullo. Ihre NGO arbeitet eng mit den Behörden zusammen – was nicht einfach ist: „Die Polizei kennt den Paragraf gegen häusliche Gewalt nicht. Wenn jemand aufgrund häuslicher Gewalt verhaftet wird, bittet die Polizei uns um Geld für den Haftbefehl. Sie kommen sogar zu uns, wenn sie etwas ausdrucken müssen.“

„Frauen konnten nicht schreiben und lesen“

Dabei erhält auch Akullos NGO keinerlei staatliche Unterstützung, die Gelder kommen alle aus dem Ausland und bestehen aus Spenden und Förderungen. Seit 2006 lebt Akullo in Pader. Sie ist gekommen, um beim Wiederaufbau der Region zu helfen: „Es gab nichts. Kein einziges Kind hatte die Sekundarstufe abgeschlossen. Es gab keinen Zugang zu sauberem Wasser, kein einziges Fahrrad. Die Frauen konnten nicht schreiben, nicht lesen, ihre Finanzen nicht schriftlich festhalten. Das ist heute anders. Sie leben in Hütten, besitzen Kühe und können die Schulgebühren zahlen.“

Der Ruf der Heimkehrerin Akullo ist nicht unumstritten: Einige feiern sie als lokale Heldin. Von anderen wird sie aufgrund ihres Engagements angefeindet und bedroht. „Die Traditionen sind sehr stark. Mir wurde vorgeworfen, ich würde die Frauen verwöhnen“, sagt Akullo. Regelmäßig geht sie an Schulen und kämpft dafür, dass junge Frauen zuerst studieren und dann heiraten. Sie selbst geht mit gutem Vorbild voran: An ihr Jus-Studium hängt sie noch einen Master in Gender Studies an der Universität Kampala an. Denn Feministinnen braucht das Acholi-Land.

Information

Kniende Begrüßung: In vielen afrikanischen Ländern gehört es zum Brauch, dass Mädchen und Frauen vor Männern und älteren Menschen auf die Knie gehen. Im ostafrikanischen Uganda zeigen auch Gleichberechtigungs-Befürworter und selbstdeklarierte Feministen Verständnis für diese Tradition, die als Symbol des Respekts gilt. Es ist aber auch ein Symbol dafür, dass die Unterdrückung der Frau nach wie vor sozial akzeptiert ist.

Die Acholi: Die Ethnie mit etwas mehr als einer Million Angehörigen lebt östlich des Weißen Nils, im Norden Ugandas in den Distrikten Gulu, Kitgum und Pader sowie im südlichen Südsudan. Widerstandsgruppen entstanden ab 1985, nach dem Ende der Herrschaft des Diktators Milton Obote. Sie bekämpften den Präsidenten Yoweri Museveni. Unter diesen Gruppen befand sich auch das „Holy Spirit Movement“, das bei den Acholi im Norden des Landes gegen Musevenis Armee kämpfte. Die Gründerin Alice Auma Lakwena vermischte Christentum, Esoterik, Endzeit-Vorstellungen und Mythen zu einer Ideologie der moralischen Reinheit. Viele Widerstandsgruppen wurden von den Regierungstruppen zerschlagen, wobei es zu willkürlichen Verhaftungen und Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten kam. Problematisch war für die Zivilbevölkerung auch die oftmals unklare Position, die die Armee in dem Konflikt einnahm. Nach Angriffen auf Dörfer kam die Hilfe der Armee oft zu spät.

Die Lord’s Resistance Army (LRA, „Widerstandsarmee des Herrn“) entstand aus Überresten des „Holy Spirit Movement“ und ist bis heute aktiv – vor allem im Grenzgebiet zwischen der Zentralafrikanischen Republik, der Demokratischen Republik Kongo und dem Südsudan. Die paramilitärische Gruppe kämpft für die Errichtung eines Gottesstaates, der auf den biblischen Zehn Geboten basieren soll.

Die Reise nach Uganda wurde von Care Österreich teilfinanziert.
Weitere Geschichten aus Uganda finden Sie unter www.wienerzeitung.at/uganda