„Griechen sind nicht faul“

by Bettina Figl

erschienen in der „Wiener Zeitung“ am 10.06.2011

Bei meiner Reise nach Griechenland traf ich Yiannis Boutaris, den Bürgermeister Griechenlands zweitgrößter Stadt Thessaloniki, zum Interview. Mit ihm habe ich über bevorstehende Privatisierungen gesprochen, er sprach von „fehlenden EU-Plänen“ und warum er als beleidigend empfindet, was deutschen Medien über die Griechen schreiben.

Thessalonikis Bürgermeister Boutaris

(c) Bettina Figl

Unterstützen Sie die Demos?

Yiannis Boutaris: Ja. Wir müssen nicht nur die Krise überstehen, sondern den Staat neu organisieren. Bei uns glaubt man, der Staat übernimmt alles. Das stimmt nicht.

 

Warum sind Sie als linker Politiker für Privatisierungen?

Natürlich werden wir den Hafen nicht jemandem verkaufen, der etwas anderes daraus macht. Der Hafen ist nationales Gut, aber das Management geben wir jemandem mit mehr Know-how. Auch unser Wasserversorger wird nicht in drei Monaten privatisiert werden können. Die griechische Wirtschaft muss auf dasselbe Level wie andere europäische Länder kommen.

 

Reportage aus Thessaloniki

Bilder aus Thessaloniki

 

Ist das möglich?

Ja. Das Problem ist, dass Europas politische Führer selbst nicht an die EU glauben. Gute Geschäfte mit Griechenland machen sie gerne. Sie haben gesehen was auf uns zukommt, aber nicht zeitgerecht eingegriffen. Da fehlt es an Solidarität.

Jetzt erhält Griechenland Hilfen und muss Auflagen erfüllen. Was stört Sie daran?

Die Vereinbarung zwischen EZB, EU und Währungsfonds beinhaltet nur Einschnitte der Löhne, hat aber keinen Plan, um die Ökonomie zu entwickeln. Ich fühle mich angegriffen, wenn deutsche oder englische Zeitungen die Griechen als faule Menschen beschreiben, denen alles egal ist. Das ist beleidigend und nicht die Wahrheit.

Sucht die EU Schuldige?

Es passieren dieselben Dinge in Portugal, Italien und Irland. Der Unterschied ist, dass wir eine andere Kultur haben. Ich fühle mich der Mentalität des Mittleren Ostens – den Türken, Bulgaren, Serben, Libanesen – viel näher als den Schweden, Finnen oder auch Österreichern.

Was sollte die EU ändern?

Die Prioritäten sollten auf Bildung und Sicherheit liegen, es sollte einen Plan für das Flüchtlingsproblem geben. Griechenland hat so viele Inseln. Wir haben zwei Millionen Flüchtlinge und wissen nicht, wohin mit ihnen! Wir könnten ihnen wie Italien Pässe geben und sie nach Schweden schicken.

Yiannis Boutaris (70) ist politisch unabhängig, seit 2011 Bürgermeister von Thessaloniki und stammt aus einer Winzer-Familie.