Kinderkriegen in Zeiten des Coronavirus

by Bettina Figl

Für gebärende Frauen hat sich durch die Pandemie viel verändert – und das nicht nur zum Schlechten.

Corona-Test vor der Geburt, Maskentragen nach der Geburt, wenn Besuch erlaubt ist, dann nur stark eingeschränkt. Die Pandemie hat für Geburtskliniken einige Änderungen gebracht. Es gibt auch überraschend positive Nachrichten: Studien aus mehreren Ländern weisen darauf hin, dass der Lockdown zu einem Rückgang der Frühgeburten geführt haben könnte. Dieser Artikel ist am 21.10.2020 in der Wiener Zeitung erschienen.

Ein Spital im irischen Limerick berichtet von 73 Prozent weniger Frühgeburten im Vergleich zu den vergangenen Jahren, im Reichskrankenhaus Kopenhagen kamen während des Lockdowns gar 90 Prozent weniger Kinder mit einem Gewicht unter einem Kilogramm auf die Welt. Während die Zahlen aus Irland und Dänemark auf eine Reduktion der extrem unreifen Frühgeburten aufweisen, zeigen Studien aus Kanada, Australien und den Niederlanden einen generellen Rückgang von Frühgeburten auf. Erklärt wird das unter anderem durch weniger Stress, mehr Unterstützung durch den Partner und sauberere Luft.

Weniger Frühgeburten – auch in Österreich?

„Wir wissen noch nicht, ob das ein konsistentes Finding ist, aber es wird immer wahrscheinlicher“, sagt Angelika Berger, Leiterin der Neonatologie an der MedUni Wien im AKH Wien. Im AKH Wien, wo jedes Jahr 200 Kinder unter 1500 Gramm entbunden werden, konnte sie keinen signifikanten Unterschied zwischen der Zeit während des Lockdowns und den Vorjahren feststellen, „aber wir warten mit Spannung auf die Zahlen aus dem Geburtenregister“, so Berger.

Denn um valide Aussagen über einen möglichen Rückgang der Frühgeburten in Österreich tätigen zu können, arbeiten derzeit eine Forschungsgruppe der MedUni Wien und das Österreichische Geburtenregister an der Auswertung der Zahlen. Die Ergebnisse sollen in wenigen Wochen publiziert werden.

Zu Beginn der Pandemie war die Verunsicherung groß

Hebammen sind jedenfalls schon jetzt sicher: Kürzere Krankenhausaufenthalte und weniger Besuche unmittelbar nach der Geburt haben den Stress für Wöchnerinnen reduziert. Aber natürlich hat die Corona-Pandemie für Schwangere und junge Mütter keineswegs nur positive Seiten. Vor allem zu Beginn war die Verunsicherung groß: „Am schlimmsten war die Ungewissheit“, berichtet Patricia Huber*, die ihren Sohn Anfang April 2020 in einem Wiener Krankenhaus zur Welt gebracht hat. Ihr Geburtstermin fiel genau in die Zeit des Lockdowns, und die Informationen, die Huber erhielt, waren widersprüchlich: Zuerst hieß es, sie dürfe nur eine Nacht im Krankenhaus verbringen. Ihre Hebamme hatte für den Notfall auf Videotelefonie umgesattelt. Auch die Empfehlung ihrer Frauenärztin lautete: Aufgrund der Ansteckungsgefahr sollte sie das Spital nach der Geburt sobald wie möglich verlassen. Die 36-jährige Angestellte, die normalerweise alles andere als ein ängstlicher Typ ist, war stark verunsichert.

Das Frühjahr 2020 gestaltete sich für alle Beteiligten chaotisch: Es gab zu wenige FFP-Masken, die Schutzausrüstung traf erst im April ein. Jeden Tag musste man sich auf Neues gefasst machen. „Heute ist das Setting ein viel sichereres als am Anfang der Pandemie“, sagt Berger, Leiterin der Neonatologie an der MedUni Wien im AKH Wien. Marianne Mayer, Leiterin des Österreichischen Hebammengremiums, sagt: „Am Anfang herrschte große Unsicherheit, inzwischen haben wir gelernt mit den neuen Rahmenbedingungen umzugehen.“

Fünf Geburten pro Woche durch Corona-positive Mütter

Heute ist man in den Wiener Geburtskliniken um Normalität bemüht, trotzdem ist vieles anders: Jede Frau, die im Krankenhaus entbindet, wird kurz vor ihrem Geburtstermin routinemäßig auf das Coronavirus getestet. Sollte der Test positiv sein, wird die Frau – sofern noch möglich – in die Klinik Ottakring, früher Wilhelminenspital , überstellt. Wie in der Gesamtbevölkerung ist die Zahl der positiv getesteten Gebärenden in Wien angestiegen und liegt derzeit bei etwa fünf Frauen pro Woche, erzählt Barbara Maier, Vorständin der gynäkologisch-geburtshilflichen Abteilung an der Klinik Ottakring.

Sollte die Klinik Ottakring, die ersten Anlaufstelle für Corona-positive Gebärende in Wien ist, voll ausgelastet sein – was schon vorgekommen ist -, wird die betroffene Frau in die Klinik Favoriten, früher Kaiser-Franz-Josef-Spital, verlegt. Zu Beginn der Pandemie herrschte Verwirrung, ob Frauen bei der Geburt Maske tragen müssen. In den öffentlichen Spitälern in Wien war dies nie der Fall – auch dann nicht, wenn die werdende Mutter Corona-positiv ist. „Frauen müssen während der Geburt natürlich keine Maske tragen. Eine Geburt, ein Kraftakt, bei dem man Luft braucht, wäre mit Maske unmöglich“, sagt die Gynäkologin Maier. Die meisten der positiv getesteten Frauen würden keine oder kaum Symptome aufweisen, so Maier, doch in jedem Fall trägt das Personal bei der Entbindung, die schon einmal viele Stunden dauern kann, die ganze Zeit über Schutzausrüstung.

„Es gibt keinen Grund, nicht zu stillen“

„Das ist für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter körperlich sehr anstrengend, sie sind rund um die Uhr im Einsatz“, sagt Maier. Gegen eine natürliche Geburt spreche trotz einer positiven Corona-Infektion nichts: „Es gibt Berichte über Neugeborene, die sich bei der Geburt über den Mutterkuchen angesteckt haben. Das sind Einzelfälle, in Wien gab es noch keinen solchen Fall“, sagt Maier. Nach der Geburt kommt die Covid-19-positive Wöchnerin in ein Quarantäne-Zimmer. Sie wird dazu angehalten, Schutzkleidung zu tragen und die Hygienevorschriften einzuhalten, danach kann sie das Neugeborene selbst versorgen. „Es gibt keinen Grund, nicht zu stillen“, sagt Maier. Da sich das Virus vor allem über Aerosole verbreitet, sollte die Mutter aber stets Maske tragen. Maier betont: „Auch Neugeborene können mit dem Coronavirus infiziert werden.“ Auch in der Klinik Ottakring ist es bereits zu einer Ansteckung von einem Neugeborenen gekommen. Maier: „In diesem Fall hat sich die Mutter nicht an die Schutzmaßnahmen gehalten. Wir bieten auch alle nachfolgenden Untersuchungen im Krankenhaus an und unterrichten die Frauen in Hygienemaßnahmen, deshalb empfehlen wir, dass Covid-positive Wöchnerinnen einige Tage bei uns bleiben.“

Was muss eine Corona-positive Wöchnerin beachten, um ihr Neugeborenes nicht anzustecken? Im Grunde gelten dieselben Hygienemaßnahmen, die wir alle anwenden: Regelmäßiges Händewaschen beziehungsweise -desinfizieren und Maske tragen. Wenn der Partner Kontaktperson eins ist, muss er in Heimquarantäne und darf bei der Geburt nicht dabei sein.

Mehr zu Hause, weniger Stress im Wochenbett

Wird eine Frau Corona-negativ getestet, darf ihr Partner bei der Geburt dabei sein, muss aber seine Besuche nach der Geburt auf ein Minimum reduzieren. Besuche von anderen Familienangehörigen sind nicht erlaubt – was den Wöchnerinnen durchaus gutgetan hat, wie die Hebamme Mayer berichtet. Denn oft ist es der frischgebackenen Mutter gar nicht so recht, dass bereits in den ersten Tagen die gesamte Großfamilie auf der Matte steht.

In den vom Coronavirus hart getroffenen USA kam es infolge der Pandemie zu einem Anstieg von Hausgeburten. Auch in Österreich verzeichneten Hebammen diesbezüglich verstärkt Anfragen – letztendlich wurden diese aber nicht durchgeführt, wie Mayer, Leiterin des Hebammengremiums, erzählt. Anders als bei Geburten im Krankenhaus erfolgt bei Hausgeburten ein Corona-Test auf freiwilliger Basis. Tatsächliche Anstiege gab es bei ambulanten Geburten: „Frauen sind heuer nach der Geburt deutlich früher nach Hause gegangen“, so Mayer. Bei einer ambulanten Geburt verlässt die Wöchnerin das Krankenhaus meist vier bis sechs Stunden und spätestens 24 Stunden nach der Geburt. Normalerweise tun dies zehn bis zwölf Prozent der Frauen, zu Beginn der Corona-Pandemie waren es plötzlich 30 Prozent. Inzwischen ist man wieder bei zehn bis zwölf Prozent wie vor Corona, berichtet Mayer. Dabei empfehlen Hebammen ambulante Geburten nicht nur zu Pandemie-Zeiten: „Wenn man weiß, dass die Wöchnerin zuhause umsorgt wird, also dass für sie gekocht wird und sie sich ausschließlich um ihr Neugeborenes kümmern kann, ist für gesunde Frauen das häusliche Wochenbett viel entspannender als ein Krankenhausaufenthalt, und das Stillen funktioniert besser“, sagt Mayer.

„Corona-positive Frauen haben Frühgeburtsrisiko“

Um eine ambulante Geburt in Anspruch nehmen zu können, muss die Geburt problemlos verlaufen und man braucht eine Hebamme zur häuslichen Nachbetreuung. Diese machen auch Hausbesuche bei Wöchnerinnen, die auf das Coronavirus positiv getestet wurden: Bei diesen Visiten halten die Hebammen mehr Abstand als üblich und verkürzen die Aufenthaltsdauer auf ein Minimum, sie verzichten beispielsweise aufs Babybaden.

Dass es zu wenige niedergelassene Hebammen auf Krankenschein gibt, kritisiert Maier, Leiterin der Geburtshilfe der Klinik Ottakring: „Unsere Wöchnerinnen können sich oft nicht leisten, Hebammen aus der eigenen Tasche zu bezahlen.“ Zu Beginn der Pandemie zählten Schwangere nicht zur Corona-Risikogruppe, doch hier habe inzwischen ein Umdenken stattgefunden: „Damals hatten wir noch nicht so viel Erfahrung. Wenn sich jetzt eine schwangere Frau mit dem Coronavirus angesteckt hat, sollte sie auf jeden Fall Anspruch auf frühzeitigen Mutterschutz haben.“

Sie plädiert dafür, Covid-19-positive Schwangere als Risikogruppe einzustufen, denn: „Mit dem Coronavirus infizierte Schwangere haben ein Frühgeburtsrisiko.“ Auf ihrer Abteilung an der Klinik Ottakring werden auch Covid-19-positive Schwangere betreut, sofern dies notwendig ist. Schwangere mit milden Verläufen kurieren sich in der Regel in Heimquarantäne aus, und wenn sie bis zum Geburtstermin die Krankheit überstanden haben und negativ getestet wurden, steht einer regulären Geburt nichts mehr im Weg. Allen Schwangeren und Frauen mit Kinderwunsch empfiehlt sie dringend, sich gegen Influenza impfen zu lassen. In Wien ist die Grippe-Impfung heuer gratis.

Lockdown: Erschwerter Zugang zu Verhütung

Für den Fall eines neuerlichen Lockdowns hat Maier, die auch Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung ist, Empfehlungen: „Dass im März und April während des Lockdowns viele Ordinationen geschlossen hatten, hat den Zugang zu Verhütung vor allem in den Bundesländern erschwert. Das sollte nicht mehr vorkommen.“

Nicht nur zu Pandemie-Zeiten kostet eine Geburt oft Blut, Schweiß und Tränen. Doch am Ende geht meist alles gut. So auch für Huber: „Nachdem mein Mann aufgrund der Pandemie nicht nach Österreich kommen konnte und es meine erste Geburt war, wollte ich keine ambulante Geburt und war froh, dass ich doch vier Tage im Krankenhaus bleiben konnte. Die Hebamme kam zur Nachbetreuung ganz normal zu mir nach Hause“, erzählt Huber*, die inzwischen mit ihrem gesunden, ein halbes Jahr alten Sohn und dessen Vater im Ausland lebt.