„Der Sündenfall der Stadtplanungspolitik“

by Bettina Figl

Die Stadt hat in 30 Jahren mehr als 5.000 Schrebergärten verkauft. Stadtentwickler Seiß: „Eine planerische Katastrophe.“ Dieser Artikel ist am 2.2.2021 in der Wiener Zeitung erschienen.

Getrimmte Thujenhecken, eine Armee von Gartenzwergen und böses Blut, sobald der Rasen einmal nicht gemäht ist. So das Klischee vom Schrebergarten. Etliche Wiener haben sich mit ihm den Traum vom eigenen Fleckchen Grün in der Stadt erfüllt – aber nicht nur das.

Seit 1993 können in Wien Schrebergärten nicht nur gepachtet, sondern auch gekauft werden. Eine Praxis, die die Stadt Wien nun wieder verbieten will. Doch laut Kritikern kommt das zu spät. „Große Flächen in bester Lage zu zerstückeln und an Häuslbauer zu verkaufen, war der Sündenfall der Wiener Planungspolitik“, sagt etwa der Stadtplaner Reinhard Seiß.

Mit dem Kauf eines Schrebergartens haben sich tausende Wiener den Traum vom Eigenheim mit Garten erfüllt. – © afp / Fred Tanneau

Aber warum hat die Stadt Wien die kommunalen Gärten Anfang der 1990er-Jahre zum Spottpreis angeboten? „Angeblich hat sich die SPÖ dadurch die Stimmen der traditionell roten Kleingärtner bei der nächsten Wahl sichern wollen, was freilich ein sündteures, verantwortungsloses Wahlzuckerl war“, sagt Seiß, und: „Es wurde nicht einmal zu Marktpreis verkauft. Und wer sofort zugeschlagen hat, bekam noch einen Frühkäuferrabatt.“ Die Roten wollten den Bürgern auch eine Wiener Alternative zum niederösterreichischen Speckgürtel bieten.

Rund ein Viertel verkauft

Reinhard Seiß, Jg. 1970, ist Stadtplaner, Filmemacher und Publizist. Heidrun Schlögl

Das ist gelungen: Heute werden viele Schrebergärten in Wien ganzjährig bewohnt, seit rund 30 Jahren darf man dort seinen Hauptwohnsitz anmelden. Insgesamt gibt es in Wien rund 40.000 Kleingärten, davon gehörte vor den Verkäufen etwa die Hälfte der Stadt Wien. Da laut Wohnbauressort zwischen 1993 und Ende 2020 insgesamt 5.363 Kleingärten verkauft wurden, befinden sich heute nur noch 13.805 Kleingärten im Eigentum der Stadt (Stichtag 1.1.2021).

Wieso wird die Kaufoption nun beendet? „Grund und Boden wird in urbanen Räumen immer wertvoller und gilt zu Recht als das Gold der Städte. Um die Nutzung auch für kommende Generationen zu garantieren und um etwaige Spekulation aufgrund steigender Bodenpreise frühzeitig zu verhindern, sollen die städtischen Kleingärten ab nun im Besitz der öffentlichen Hand bleiben“, argumentiert Wohnbaustadträtin Kathrin Gaal (SPÖ) in einem schriftlichen Statement.

Zur Erklärung: Die Stadt hatte bisher zehn Jahre lang ein Vorkaufsrecht. Danach konnte der Besitzer die Grünfläche nach Belieben teuer weiterverkaufen.

Kleingärten, die in Krisenzeiten wie nach dem Krieg vorrangig der Versorgung mit selbst gezogenem Obst und Gemüse dienten, werden heute oft das ganze Jahr über bewohnt, und das in nicht gar so kleinen Häusern: Indem mehrere Parzellen zusammengelegt werden, wird die 50 Quadratmeter-Grenze gerne umgangen. „Die politisch tolerierte Umgehung oder zumindest ‚kreative Interpretation‘ der Bauvorschriften führte zu einer Do-it-yourself-Architektur, die aus dem stadtplanerischen Albtraum auch noch tausendfach einen architektonischen Albtraum machte“, kritisiert Seiß.

Bei verpachteten Schrebergärten hatte die Stadt nach Auslaufen des Vertrags die Möglichkeit, die Kleingärtner umzusiedeln und den Grund für Stadterweiterung zu nutzen. Nachdem in den vergangenen 30 Jahren einige tausend Schrebergärten verkauft wurden, ist diese Option oftmals verschwunden. „Man hat damit wertvolle Reserven für die innere Stadtentwicklung für alle Zeit aus der Hand gegeben“, sagt Seiß. Als Beispiel für eine „stadtplanerische Katastrophe“ nennt der Stadtplaner die Kleingartensiedlung Am Schöpfwerk, die sogar an die U6 angebunden ist: „Das ist eine völlige Unternutzung der Standortqualität. Kein Stadtplaner käme je auf die Idee, dort, wo mehrgeschoßige Wohnbauten stehen könnten, Einfamilienhäuser hinzustellen. Das widerspricht dem Ziel einer nachhaltigen Stadtentwicklung.“

Ausnahmeregelungen

Das Verkaufsverbot soll am kommenden Montag im zuständigen Ausschuss und danach in der nächsten Gemeinderatssitzung am 25. Februar beschlossen werden. Doch keine Regelung ohne Ausnahmen: In der Übergangsphase können Schrebergärten nach wie vor erworben werden. Das trifft auf Kleingartenanlagen zu, in denen bereits mehr als 80 Prozent der Gärten verkauft wurden. Hier haben Pächter bis Ende 2021 eine Ankaufmöglichkeit. Das gilt auch für Personen, die noch vor dem Stichtag 31. Jänner Geld in Zusammenhang mit einem geplanten Ankauf investiert haben, etwa für Vermessungen. Auch alle vor dem 31. Jänner eingegangen Kaufansuchen werden noch nach der bisher geltenden Regelung bearbeitet, heißt es aus dem Wohnbauressort.