„Machtspiele auf dem Rücken der Kinder“

by Bettina Figl

Um Papa oder Mama zu treffen, brauchen manche Kinder professionelle Unterstützung. Seit 20 Jahren gibt es daher das Berufsfeld Besuchsbegleitung – doch einheitliche Standards fehlen noch. Zu Besuch in einem Wiener Besuchscafé. Dieser Artikel ist am 4.6.2021 in der „Wiener Zeitung“ erschienen.

Schaukelpferd, Hüpfball, Bällebad. Ein Sofa, in das man tief einsinkt. Der grasgrüne Teppich, der an Kunstrasen erinnert, bietet Platz zum Spielen. Der Raum des Familienbunds im 15. Bezirk soll Normalität vermitteln. Denn genau daran fehlt es Kindern, die in einem der Wiener Besuchscafés einen Elternteil treffen. Meist ist es der Vater, der sein Kind hier im Beisein eines Besuchsbegleiters* trifft. Manchmal sind es aber auch Mütter und in seltenen Fällen Großeltern, die auf diese Weise den Kontakt zu ihren Kindern oder Enkeln einfordern.

„Besuchsbegleiter“ gibt es in Österreich seit dem Jahr 2001. Im §111 des Außerstreitgesetz heiß es dazu: „Wenn es das Wohl des Minderjährigen verlangt, kann das Gericht eine geeignete und dazu bereite Person zur Unterstützung bei der Ausübung des Rechts auf persönliche Kontakte heranziehen.“ In den Jahren 2017/2018 erhielten 1.543 Kinder und 1.121 besuchsberechtigte Elternteile eine Förderung des Sozialministeriums, darunter 925 Männer (für 2019/2020 liegen erst im Herbst 2021 Zahlen vor). Doch bei weitem nicht alle Besuchskontakte werden gefördert, und wie viele Kontakte es insgesamt gibt, ist nicht zentral erfasst.

Wie es so weit kommen konnte? Die Hintergründe sind höchst individuell. Meistens gibt es eine lange Vorgeschichte von Streitigkeiten, Machtspielen und verbaler, psychischer oder physischer Gewalt. Die Eltern haben sich im Schlechten getrennt, scheiden lassen oder plötzlich den Kontakt abgebrochen. Manchmal ist so viel vorgefallen, dass die Ex-Partner einander nicht einmal mehr bei der „Übergabe“ der Kinder begegnen möchten.

Kinder haben Recht auf Kontakt zu beiden Eltern

Die Leidtragenden sind ihre Kinder. Dabei haben diese, sofern es ihrem Wohl nicht entgegensteht, ein Grundrecht auf Kontakt zu beiden Elternteilen. Dies ist seit 1989 in einem UN-Abkommen festgehalten, und im Artikel 2 der Österreichischen Bundesverfassung ist das Recht des Kindes „auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen“ verankert.

In Österreich kommt Besuchsbegleitung seit nunmehr 20 Jahren zum Einsatz, und zwar nicht nur bei Kontakten nach einer Scheidung oder Trennung. Besuchsbegleitung findet auch statt, wenn Pflegekinder oder Kinder, die in Wohngemeinschaften leben, ihre leiblichen Eltern treffen.

Vor allem bei befürchteten oder drohenden Gefährdungen des Kindeswohls sind begleitende Kontakte „dringend angeraten“, sagt Besuchsbegleiterin Gabi Wied vom „Arbeitskreis Berufsverband Besuchsbegleitung Österreich“. Diese Gruppe besteht aus etwa 20 besuchsbegleitenden Organisationen, die sich österreichweit zusammengeschlossen haben, um bundesweite Standards, verpflichtende Qualifizierung und Vernetzung in der Besuchsbegleitung voranzutreiben. Geht es nach den Besuchsbegleitern, soll die Finanzierung sowie das Angebot an Aus- und Weiterbildungen bundesweit vereinheitlicht werden.

Von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich

Denn derzeit sei etwa der Fördersatz für die Besuchsbegleitung bei Pflegekindern von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich, kritisiert Gabi Wied, die als Geschäftsführerin von „Peter Pan“, einer privaten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung, auf Pflegekinderkontakte spezialisiert ist. Sie fordert zudem eine breit angelegte Grundausbildung für Besuchsbegleiter.

Berufsbegleitung ist kein Gewerbe, und eine entsprechende Qualifizierung basiert auf Freiwilligkeit. Zwar gibt das Sozialministerium vor, dass Besuchsbegleitung nur dann gefördert wird, wenn diese durch „qualifizierte Besuchsbegleiterinnen und Besuchsbegleiter“ stattfindet. Doch wie diese Qualifizierung aussehen soll, ist nicht näher definiert, und ein Großteil der Besuchsbegleitung wird nicht gefördert, sondern privat bezahlt.

„Im Prinzip darf das jeder machen“

„Im Prinzip darf das jeder machen“, kritisiert Wied. In der Praxis sei es zwar so, dass Besuchsbegleiter oft aus der Sozialarbeit kommen oder Erfahrung im psychosozialen oder pädagogischen Bereich haben, verpflichtend ist dies aber nicht.

Während das Sozialministerium einen Lehrgang für den Umgang mit (Verdachts-)Fällen häuslicher Gewalt, sexuellen Missbrauchs und anderen Härtefällen im Rahmen der Besuchsbegleitung anbietet, brauche es zusätzlich eine „Grundausbildung für Besuchsbegleiter“, sagt Wied.

Vor allem bei den zu betreuenden Kontakten zwischen Pflegekindern und ihren leiblichen Eltern ortet sie großen Bedarf für eine Ausbildung, die für den Umgang mit traumatisierten Kindern sensibilisiert.

„In diesen Fällen hat der Besuchskontakt Gefährdungspotenzial, sonst wären diese Kinder ja nicht fremduntergebracht. Zudem haben diese Kinder massive Verlustängste“, sagt Wied. Besuchsbegleitung wird, sofern sich die Eltern auf keine Kontaktregelung einigen konnten, oftmals vom Pflegschaftsgericht oder der Kinder- und Jugendhilfe beauftragt.

Die vom Gericht festgelegte Stundenanzahl sowie die Dauer der Besuchsbegleitung sind zeitlich limitiert und meist temporär. „Unsere Besuchsbegleiter protokollieren jedes Treffen und übermitteln die Berichte an das Gericht. Wenn alles gut läuft, kann das Kontaktrecht nach einiger Zeit auf unbegleitet umgestellt werden“, erklärt Jörg Buchmüller, Fachbereichsleiter des Familienbundes, der auf Besuchsbegleitung nach Trennungen spezialisiert ist, und ergänzt: „Besuchsbegleitung führt oft erst durch begleitende Maßnahmen wie Eltern- und Erziehungsberatung, Mediation oder Antigewalttrainings zum Ziel.“ Buchmüller, der vorher in der Gewaltprävention tätig war, beschreibt das Arbeitsfeld als „sehr herausfordernd“.

Oft sei die Stimmung zwischen den getrennten Elternteilen „vergiftet“. „Oft hat sich über die Zeit viele Frustration aufgestaut, und nicht wenige Eltern betreiben Machtspiele auf dem Rücken ihrer Kinder, fragen sie etwa danach, was der andere Elternteil macht oder ob die Mutter einen neuen Freund hat. Das wird von unseren Besuchsbegleitern sofort unterbunden“, sagt Buchmüller.

Das Konfliktpotenzial spiegelt sich auch in den Aussagen der Kinder wider, die hier anonymisiert wiedergegeben werden: „Ich möchte den Papa nicht sehen, sonst ist die Mama traurig“; „Die Mama hat gesagt, ich soll mit dem Papa in der Besuchsbegleitung nicht spielen, dann werde ich auch immer bei ihr bleiben können“; „Ich will die Mama hier im Besuchscafé sehen, aber der Papa hat gesagt, dass die Mama mich wieder enttäuschen wird. Ich weiß nicht, was er damit gemeint hat.“ Oftmals seien Unsicherheiten und Ängste bei Kindern wie Eltern groß, sagt Buchmüller. In der Praxis sei es daher wichtig, alle gut einzubinden. „Kinder sind immer ein emotionales Thema. Man braucht als Besuchsbegleiter viel Geschick und Feingefühl, damit die Ängste fallen.“

Angesichts der vielen Fälle von Gewalt an Frauen in Österreich, bis hin zu Femiziden, stellt sich die Frage: Was ist, wenn Straftäter ihre Kinder sehen wollen? „Für Gewalttäter gibt es Besuchsverbot und wenn, ist nur begleiteter Besuchskontakt erlaubt“, erklärt Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin des Vereins Autonome Frauenhäuser.

„Wenn Gewalttäter ihre Kinder sehen wollen, muss das Kindeswohl berücksichtigt werden. Leider sieht es in der Praxis oft anders aus.“ Die finanzielle Situation spiele dabei oft eine große Rolle, ergänzt Rösslhumer: „Hat der Mann einen guten Anwalt, schafft er es oft sehr gut, seine Interessen durchzusetzen.“ Dabei gehe es vielen nicht ums Kindeswohl, sondern darum, Macht und Kontrolle über die Ex-Partnerin auszuüben.

Gewalt oder Missbrauch: Viele Verdachtsfälle

Viel häufiger als mit verurteilten Straftätern hat es die Besuchsbegleiterin Wied jedoch mit Fällen zu tun, in denen der Verdacht auf Gewalt oder (sexuellen) Missbrauch nicht bestätigt ist. „Eines unserer Hauptprobleme sind die vielen Verdachtsfälle, die im Raum stehen. Hier gilt es das Kindeswohl immer im Vordergrund zu sehen.“

Straftäter haben prinzipiell das Recht, ihre Kinder zu sehen. Derzeit prüft das Justizministerium ein Konzept für ein Pilotprojekt zur Besuchsbegleitung in Haftanstalten, wie eine Ministeriumssprecherin der „Wiener Zeitung“ bestätigt hat. Die Besuchsbegleitung muss meist jener Kontakt bezahlen, der mit dem Kind nicht im selben Haushalt wohnt. Es gibt aber auch Fälle, in denen das Gericht entscheidet, dass die Kosten auf beide Teile aufgeteilt werden.

„Ich weiß nicht, wie ich das bezahlen soll“

Eine Besuchsstunde beläuft sich zwischen 55 und 80 Euro. Das ist für etliche Menschen viel Geld. „Ich weiß nicht, wie ich das bezahlen soll. Ich kann ein paar Stunden zahlen, aber was ist, wenn der Prozess mehrere Wochen oder Monate dauert?“, fragt ein Vater, der anonym bleiben möchte. Lediglich Menschen mit sehr niedrigen Einkommen können beim Sozialministerium eine Förderung beantragen. Es gibt aber auch die Möglichkeit einer Kostenübernahme durch die Kinder- und Jugendhilfe, etwa bei Pflegekindern.

Die Nachfrage nach Besuchsbegleitung ist jedenfalls ungebrochen. Der Familienbund muss, wie auch andere Vereine, jede Woche mehrere Interessenten ablehnen, weshalb der Arbeitskreis Besuchsbegleitung und andere Sozialeinrichtungen eine Aufstockung des Angebots fordern