Ö1-Bericht über den neuen Serienkult
by Bettina Figl
In Fernsehen und Internet: Neuer Kult in Serie
Vor genau 20 Jahren revolutionierte die Serie „Twin Peaks“ das Fernsehen: Regisseur David Lynch erschuf eine Welt voller Charaktere, die durch Querverbindungen und parallel laufenden Erzählsträngen miteinander verwoben sind. Seither hat sich am Serienmarkt viel getan und auch Webisodes beeinflussen das Genre.
Dieser „Kultur aktuell“-Beitrag ist am 14.08.2010 auf Ö1 gesendet worden und hier nachzuhören.
Bis heute werden Fernsehserien immer noch primär mit Vorabendunterhaltung assoziiert. Zu Unrecht. Bestimmte Serien wie „Mad Men“ oder „The Wire“ werden unter Cineasten als epische Monumentalwerke verehrt.
Hochglanz-Ästhetik bei „Mad Men“
Don Draper erinnert an James Bond: Sein Anzug sitzt wie angegossen, und wenn er in der Früh das Büro betritt, trinkt er erst einmal einen Martini. Doch sein Geld verdient er nicht mit der Verbrecherjagd, sondern mit Werbung.
Wir befinden uns im New York der Swinging Sixties und Don Draper ist das Zugpferd der Werbeagentur Sterling Cooper. Die Serie „Mad Men“ hat die Hochglanz-Ästhetik des „Time Magazines“ auf Zelluloid gebannt. Regisseur Matthew Weiner recherchierte akribisch genau, um die Atmosphäre eines Amerikas im Wandel einzufangen. Sexismus wird in der Serie mit feiner Klinge offen gelegt.
„The Wire“ im Hier und Jetzt
Während „Mad Men“ also um Rekonstruktion der 1960er Jahre bemüht ist, fängt „The Wire“ das Hier und Jetzt amerikanischer Großstädte ein. Doch was kann eine Serie, was ein Film nicht kann?
„Man hat einfach mehr Zeit“, meint Filmwissenschaftler Thomas Ballhausen, „neue Formen und Figuren zu entwickeln“, man könne große Stränge entwickeln, die einander befruchten. „The Wire“ sei eine klassische Cop-Geschichte und gleichzeitig die literarische Geschichte einer Stadt, Baltimore. Die Serie sei sehr realitätsnah, so Ballhausen.
Raues Baltimore
Dieser Realismus ist kein Zufall, stammt doch „The Wire“ vom ehemaligen Polizeireporter David Simon. Gemeinsam mit Ed Burns, der zuvor am Morddezernat in Baltimore arbeitete, hat er die amerikanische Stadt episodenweise nachempfunden. Und Stoff gibt es genug: In Baltimore werden pro Jahr 400 Menschen getötet – genauso viele wie in New York, einer Stadt mit zwölfmal so vielen Einwohnern.
Drei Viertel von den rund 200 Darstellern in „The Wire“ sind in Baltimore aufgewachsen. Daher kommt der authentische Slang, weshalb die Serie auch in den USA untertitelt gezeigt wird.
Internet goes TV
Im deutschsprachigen Fernsehen ist „The Wire“ bislang nicht zu sehen, „Mad Men“ startet im Herbst. Doch eingefleischte Fans warten ohnehin nicht, bis ihre Serie im Fernsehen ausgestrahlt wird. Und auch die Staffeln auf DVD bekommen zunehmen Konkurrenz durch Serien, die im Internet produziert werden.
„Dr. Horrible’s Sing Along Blog“ ist ein Internet-Musical und erhielt im vergangenen Jahr unter anderem den People’s Choice oder den Creative Arts Award. Anders als viele selbstproduzierte YoutTube-Videos sind Webisodes genauso gut gemacht wie Fernsehserien. Einzig die Finanzierung bereitet den Produzenten noch Kopfzerbrechen. Lisa Kudrow, bekannt als Phoebe aus der Kultserie „Friends“, hat mit ihrer Webisode namens „Web Therapy“ eine Lösung gefunden: Sie suchte sich einen Sponsor, und nun zeigt auch das „normale“ Fernsehen Interesse: Sie wird in der Rolle der egozentrischen Psychotherapeutin ab nächstem Jahr im US-Kanal Showtime zu sehen sein.