Regeln anstatt Villa Kunterbunt

by Bettina Figl

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Schweden reagiert auf schlechte Pisa-Ergebnisse und setzt auf mehr Leistung in den Schulen. Das einstige Musterland krempelt den Lehrplan um. Frühere Benotung, Sitzenbleiben und mehr Kontrolle.

Erschienen am 9.9.2011 in der „Wiener Zeitung“

Bettina Figl aus Stockholm

Wien/Stockholm. Nicht nur Pippi Langstrumpf macht sich die Welt widdewidde sie ihr gefällt. Entscheidungsfreiheit wird in Schweden, Heimat des Kinderbuchklassikers, auch an den Schulen groß geschrieben. Der Lehrplan war lange Zeit Auslegungssache, Montesori-und Waldorfpädagogik sind in, benotet wurde so wenig wie möglich. Egal ob Gesamtschule oder einheitliche Lehrerausbildung: Was hierzulande seit Jahren diskutiert wird, ist in Schweden seit Jahrzehnten Realität.

Doch nicht alles ist gut im hohen Norden: Beim letzten Pisa-Test lag Schweden nur noch im unteren Mittel, einzig im Lesen war es besser als der OECD-Schnitt. Die Schweden sind alarmiert, aus der nationalen Bildungsagentur Skolverket in Stockholm heißt es: „Wir müssen bessere Ergebnisse erzielen“. Daher gibt es seit heuer ein neues Schulgesetz und einen detaillierteren Lehrplan.

Ob Bruchrechnen in der achten oder Multiplizieren in der ersten Schulstufe – nun schreibt der Lehrplan im Detail vor, wann ein Kind was können muss. Mindestens zweimal pro Jahr wird kontrolliert, ob die Lernziele erreicht wurden. Wenn nicht, wird gemeinsam besprochen, was zu tun ist. In Österreich gibt es Frühwarnsysteme und freiwillige Elterntage, in dem skandinavischen Land sind die Gespräche zwischen Lehrern, Schülern und Eltern Pflicht.

Recht auf Sitzenbleiben

Während bei uns das Abschaffen des Sitzenbleibens diskutiert wird, können in Schweden Lehrer, Schüler oder Eltern vorschlagen, nach der Schulpflicht noch zwei Jahre anzuhängen. Claes-Göran Aggebo von der Skolverket: „Es gibt immer einen individuellen Plan. Es soll das passieren, was für den Schüler am besten ist.“

Bisher war es gar nicht möglich, ein Fach negativ abzuschließen – das Notensystem differenzierte nur zwischen Bestanden, Ausgezeichnet und Besondere Auszeichnung. Noten gab es überhaupt erst ab der achten Schulstufe.

Doch auch hier geht es immer mehr in Richtung Leistung: Ab 2012 wird auf fünf Noten aufgestockt, und Zeugnisse gibt es dann schon zwei Jahre früher als bisher.

Bildungsforscherin Christa Koenne, ehemalige Direktorin des Gymnasiums Geringergasse im 11. Bezirk in Wien, sieht Noten allerdings nicht als Problem. Als Informationsquelle für Arbeitgeber oder weiterführende Schulen würden sie durchaus Sinn machen.

Aber nicht nur Schweden reformiert: Ab 2012 soll es in Österreich eine einheitliche Lehrerausbildung geben. Wo diese stattfinden soll – auf den Unis oder den Pädagogischen Hochschulen – ist noch unklar. Auch die Kindergartenpädagogik soll an die Unis, in Schweden ist das seit 40 Jahren Usus. Einen Lehrermangel gibt es übrigens auch im Land von Ikea und Nils Holgersson, durch eine Gehaltsanhebung will man den Beruf attraktiver machen. Das Lehrergehalt wird in Schweden individuelle Verhandlungssache ist, liegt es unter jenem in Österreich.

Bildung ist in Schweden keine Frage des Geldes. Es ist selbstverständlich, dass der Schulbesuch kostenlos ist – auch jener von privat geführten Schulen. Inzwischen gibt es über 1000 von ihnen, auf ihnen pauken elf Prozent der Pflichtschüler und 22 Prozent der Gymnasiasten. Doch je nach Ausrichtung und Standort einer Schule variiert die Qualität, auch deshalb wird jetzt mehr Wert auf Standards gelegt. Während Schweden Ordnung in den Schul-Wildwuchs bringen will, wird bei uns der Ruf nach Autonomie lauter: Direktoren wollen mitbestimmen, wer an ihren Schulen lehrt. Derzeit teilen Bund und Länder die Lehrer den Schulen zu. Die Rektoren haben – anders als in Schweden – kein Mitspracherecht .

Kontrolle hat Grenzen

Die Kommunen haben nach der Reform weiterhin viel zu sagen: Sie entscheiden, wofür Geld ausgegeben wird. Die Ausgaben werden nicht kontrolliert, lediglich das Erreichen der Bildungsziele. Dafür wurden die Gelder in den letzten drei Jahren verdoppelt.

Bleibt zu hoffen, dass damit beim nächsten PISA-Test zwei mal drei nicht mehr vier und vier und drei nicht mehr neune ergeben, wie es von Pippi Langstrumpf besungen wird.