Emanzipation auf Kenianisch

by Bettina Figl

B. Figl

B. Figl

In Kenias patriarchaler Gesellschaft haben Frauen kaum Rechte. Ein EU-Projekt will das ändern. Ein Mann schlägt auf seine schwangere Ehefrau ein, bis sie auf dem Boden liegt. Ihre Wehen beginnen, er ignoriert sie, scherzt stattdessen mit Freunden. Es ist die Szene eines Theaterstücks, das im Slum der drittgrößten Stadt Kenias, Kisumu, aufgeführt wird. Fern der Realität ist sie jedoch nicht. Dieser Artikel ist am 25.5.2017 in der „Wiener Zeitung“ erschienen.

Ein Mann sticht seiner Frau mit dem Messer ins Gesicht, in den Nacken und in den Rücken, bis sie verblutet. Die beiden Kinder im Volksschulalter müssen das Gemetzel mitansehen. Ihre 23-jährige Mutter verblutet, der Vater flüchtet. Grund für diesen Mord, der sich vor wenigen Wochen im Slum von Ruraka unweit Kisumu ereignet hat, war ein Streit: Der Mann hatte sich beschwert, dass seine Portion Ugali zu klein ausgefallen war. Der Maisbrei-Knödel „Ugali“ ist das Grundnahrungsmittel der kenianischen Bevölkerung.

Der Fall ist nicht alltäglich. Dennoch zeigt er: Familienoberhaupt ist in Kenia der Mann. Das bedeutet nicht nur, dass er das größte Stück Ugali bekommt. Sind nur Frauen zuhause, heißt es „niemand ist zuhause“. Mit Haushalt und Kindererziehung haben Männer meist nichts am Hut. Trotzdem bedarf es ihrer Einwilligung, ob die Frau ins Krankenhaus gebracht, oder das Kind geimpft werden „darf“. „Am häufigsten sterben Mütter bei der Entbindung, wenn sie nicht rechtzeitig ins Krankenhaus kommen“, erklärt Otieno Kennedy Ochieng.

Der 32-Jährige ist als leitender Arzt für die Gesundheit der 400.000 Einwohner Kisumus verantwortlich, er behandelt 100 Menschen am Tag. „Das Hauptproblem sind Armut und Mangelernährung“, sagt er. Zwei Kilo Maismehl kosten umgerechnet 1,50 Euro, damit kommt eine fünfköpfige Familie einen Tag lang durch. Fast einen Euro kostet ein Laib Brot – für Familien im Slum ein Luxusgut.

Im Slum von Kisumu verfolgt die Nachbarschaft gebannt die dramatischen Szenen, die sich in dem Slum-Theater auf erdigem Boden unter schiefem Wellblech abspielen. Was nach Applaus und Verbeugungen folgt, ist in Kenia eine Rarität: Sozialarbeiter besprechen mit den Slum-Bewohnern über die Tabuthemen Verhütung, Schwangerschaft und Sex. Das ist Teil eines umfangreichen, dreijährigen EU-Projekts, das Care Österreich und Care Kenia gemeinsam durchführen.

Für Lilian Musimbi, 24 Jahre alt, war der erste Besuch des Slum-Theaters eine Offenbarung. Sie war damals schwanger mit ihrem ersten Kind – doch die Gerüchte, die sie über Geburt und Verhütung gehört hatte, verunsicherten sie: „Es hieß, wenn man einmal verhütet, könne man nie wieder schwanger werden, oder dass das Kind dann mit Behinderung zur Welt kommt.“

Inzwischen ist ihr Kind gesund auf die Welt gekommen, etwa drei Monate alt, und Musimbi verhütet mit Hormonzäpfchen. Dafür die Zustimmung ihres Mannes zu bekommen „war ein Prozess“, sagt sie. In Kenia entscheidet der Mann, ob die Frau verhüten darf, wann der eheliche Beischlaf verrichtet wird, wieviele Ehefrauen und Freundinnen er haben will.

Polygames Patriarchat und Kondom-Phobie

Viele Kenianer leben polygam, mehrere Frauen zu heiraten ist legal. Für Frauen gelten diese Freiheiten nicht: Werden sie beim Fremdgehen erwischt, drohen Vertreibung und Schläge. Problematisch ist auch, dass sich zum polygamen Patriarchat eine Kondom-Phobie gesellt: Viele Männer schleppen HIV in die Familie, stecken ihre Frauen und Kinder an. Ein Drittel aller neuen HIV-Infektionen betrifft Kinder, und es gibt immer mehr Aids-Waise: Laut Unicef haben sich die Todesfälle infolge von Aids in den vergangenen sechs Jahren verdoppelt.

In die Aids-Behandlung wurde viel Zeit und Geld investiert, doch die Prävention wird vernachlässigt. „Wir sehen steigende Infektionsraten bei Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren“, sagt der Arzt Ochieng. Zwar sei Sexualkunde Teil des Lehrplans, doch „die Lehrer trauen sich nicht, das Thema anzusprechen“. Mehr als ein Drittel der 15- bis 19-Jährigen hatte bereits Sex, ein Fünftel der Frauen in dieser Altersgruppe sind Teenager-Mütter. Die Hälfte der Jugendlichen weiß nicht ausreichend über HIV und AIDS Bescheid, heißt es in einem Bericht des „African Population and Health Research Center“ (2017).

Ein Dutzend Frauen sitzt in einem Raum im Gesundheitszentrum der NGO Care in Kisumu. Sie sind HIV-positiv, als „Mentor-Mütter“ beraten sie andere infizierte Mütter. Susan Okode, 37, hat drei Kinder, alle sind HIV-negativ. Auch ihr Jüngstes, das sie bekam, als sie bereits infiziert war. Medikamente verhinderten, dass sich der Virus beim Stillen auf ihr Baby übertrug. Das Ziel der Mentor-Mütter ist, dass jedes Kind, das auf die Welt kommt, HIV-negativ ist.

Die drei Buchstaben „HIV“ nimmt hier niemand in den Mund, alle sprechen nur „vom Status“. Eine Abkürzung oder ein Codewort? Wahrscheinlich beides. Obwohl fast 20 Prozent der Menschen in der Region mit HIV infiziert sind, wiegt das Stigma schwer: „Zuerst muss man sich testen lassen, im zweiten Schritt den Status akzeptieren“, sagt Elisabeth Selina. Die Mentor-Mutter hat als Freiwillige in drei Jahren 500 Frauen beraten.

Ortswechsel: im Care-Jugend-Gesundheitszentrum führt die Krankenschwester Beatrice Ojwang HIV-Schnelltests durch. „Du hast den Status nicht“, teilt sie James, 27, mit. Dieser verlässt, ohne mit der Wimper zu zucken, das Arztzimmer: „Schick‘ deine Freunde vorbei“, ruft ihm Ojwang noch hinterher.

„Male Champions“ propagieren die neue Männlichkeit

Wie immer lautet die Devise: Ohne die Männer geht nichts. „Dreimal in der Woche koche ich, am liebsten gebackenen Fisch“, erzählt Joab Oluoch, der gerade eine Ausbildung zum „Männlichen Champion“ durchläuft. Diesen Titel tragen 30 Männer in der Community, der Oluoch steht kurz vor dem Abschluss. Der 32-Jährige lernte kochen – und Spott und Häme einstecken: Sein Umfeld habe sich anfangs sehr besorgt gezeigt, warum er zu all diesen Treffen mit Frauen gehe. „Heute bin ich ein Anderer“, sagt Oluoch.

„Frauen sind bereit, sich den Problemen des Landes anzunehmen. Doch ohne die Männer können sie nichts tun“, sagt Tom Henry Onyango. Der 43-Jährige „männliche Champion“ missioniert seine Geschlechtsgenossen, indem er ihnen erzählt, wie sich seine Beziehung seit seiner Wandlung zum sorgsamen Familienvater verbessert hat: Wenn er Teller abwäscht und sich um die Kinder kümmert, während seine Frau im HIV-Zentrum arbeitet, sei seine Frau weniger müde und ausgeglichener, sagt er. Seine Letztgeborene, die 3-jährige Joy, war das erste seiner Kinder, das er zum Arzt brachte.

„Das ist nicht einfach für einen Mann. Die Menschen schauen komisch, wenn ein Mann sein Kind zum Arzt bringt“, sagt der fünffache Familienvater. Buben und Männern ist sogar untersagt, die Küche zu betreten. Tun sie es dennoch, können sie beim „Rat der Älteren“ denunziert werden. „Unser Stamm, die Lou, sind der Überzeugung, dass Haushalt und Kindererziehung keine Arbeit für Männer sind“, erklärt Onyago. Seine Familie hebt sich ab. Gibt es in seinem Haushalt also zwei Familienoberhäupter? „Nein“, stellt Onyago klar, „das Familienoberhaupt bin ich.“

Information

Der Artikel entstand im Zuge einer Pressereise von Care Austria. Mehr Bilder aus Kisumu finden Sie hier, und hier geht es zum Bericht über Menstruationstassen in Entwicklungsländern wie Kenia.