Blutige Tatsachen

by Bettina Figl

Eine Frau beim WoMenaMenstruationstassen-Programm in Uganda.© Tom Saater / WoMena

Eine Frau beim WoMenaMenstruationstassen-Programm in Uganda.© Tom Saater / WoMena

„Können wir bitte das Thema wechseln?“ Egal ob männlich oder weiblich: Kommt man auf Menstruation zu sprechen, reagiert der Gesprächspartner meist irritiert bis angeekelt. Das, was die knappe Hälfte der Weltbevölkerung monatlich erlebt, ist also ein Tabuthema, über das man besser nicht spricht. Wenn Frauen Monat für Monat bluten, halten sie das geheim und stecken einander Tampons zu, als würden sie Drogen dealen. Ist das schlimm? Muss ja nicht jeder wissen, oder?

Dieser Artikel ist am 9.3.2017 in der „Wiener Zeitung“ erschienen und hier nachzulesen.

Doch. Wenn man nicht darüber spricht, schreibt oder berichtet, wird sich an den mit Menstruation verbundenen Problemen wenig ändern. Und davon gibt es, vor allem in Entwicklungsändern, zu Hauf: Im Westen Nepals dürfen Mädchen und Frauen während ihrer Monatsblutung das Haus nicht betreten und müssen im Kuhstall oder einer Hütte schlafen. Zudecken dürfen sie sich dort nicht mit einer warmen Decke, sondern nur mit einem Jutefetzen. Die Hütten sind meist sehr simpel und haben keine Türen. Die Frauen sind daher Eindringlingen aller Art ausgesetzt: giftigen Insekten, Schlangen, Tigern – und Männern. Denn während der Monatsblutung werden ihnen keinerlei Rechte zugestanden, und Vergewaltigungen sind keine Seltenheit.

Nachdem Ende 2016 eine 26-jährige Frau in einer solchen Hütte auf ungeklärte Weise gestorben ist – bei Weitem kein Einzelfall –, hat sich die nepalesische Regierung im Februar 2017 auf eine Gesetzesänderung geeinigt: Stirbt eine Frau bei der hinduistischen Tradition namens „Chhaupadi“, können nun Gefängnisstrafen von bis zu drei Jahren verhängt werden. „Chhaupadi“ basiert auf dem Aberglauben, menstruierende Frauen wären „unrein“, und würden die indischen Götter verärgern, wenn sie das Haus betreten. Aus diesem Grund dürfen sie während der Regelblutung allerhand nicht tun: Sie dürften Männer und ältere Verwandte nicht berühren, und auch ihre Ernährung wird stark eingeschränkt: Sie dürfen kein Fleisch, keine Milchprodukte oder grünes Gemüse essen. Da sie während dieser Zeit nur Trockenfrüchte, Reis und Salz zu sich nehmen, kommt es oft zu Mangelernährung.

Bekommt ein Mädchen zum ersten Mal ihre Regel, muss sie zwei Wochen lang in der Hütte bleiben. Dasselbe gilt auch für Frauen, die ein Kind zur Welt bringen. „Auf lokalpolitischer Ebene gibt es wenig Bereitschaft, sich dem Thema anzunehmen“, schreiben die Vereinten Nationen in einem Bericht. Aus diesem Grund unterstützt der „UN Trust Fund to End Violence Against Women“ ein Projekt gestartet, das noch bis Ende des Jahres laufen wird und vor allem auf Aufklärung in der Bevölkerung setzt.

Binden, finanziert mit Sex

Aufklärung ist auch in etlichen ländlichen Gebieten Afrikas gefragt. Hier stoppen Frauen ihre Regelblutung mithilfe von alten Fetzen, Decken oder Lehm. Dabei kommt es oft zu Infektionen – und besonders effektiv sind diese provisorischen Binden ohnehin nicht. Um nicht wegen roter Flecken gehänselt zu werden, bleiben viele Mädchen der Schule fern. Das kann bis zum Schulabbruch führen. Laut einem Unicef-Report von 2016 geht ein Drittel aller Mädchen in Zentral- und Westafrika nicht zur Schule. Nicht nur ihre Bildung, auch ihre Gesundheit bleibt auf der Strecke. „Schulmädchen berichten davon, dass sie das Geld für Binden mittels Sexarbeit eintreiben“, heißt es in einem Bericht des „Journal of Women’s Health“ aus 2015.

Zwei Drittel der 13-29-jährigen Westafrikanerinnen berichten, dass sie Hygieneprodukte von ihrem Sexualpartner bekommen. Hat ein Mädchen mehr als einen Sexualpartner, ist es wahrscheinlicher, dass sie an Binden herankommt. Vor allem 15-jährige Mädchen berichten, dass sie Sexarbeit leisten, um sich Sanitätsprodukte leisten zu können. In solchen Verbindungen ist es oft nicht möglich, Verhütung einzufordern, was die Gefahr einer HIV-Infektion oder ungewollten Schwangerschaft erhöht.

Es werden Dünger oder Ziegenhaut verwendet

Um das zu verhindern, drängen Familien ihre Töchter dazu, früh zu heiraten. In Kenia ist fast jedes vierte Mädchen bei ihrer Hochzeit minderjährig. All das geht aus einer Studie hervor, die im ländlichen Kenia unter fast 3500 Frauen durchgeführt wurde. Demnach verwendet ein Viertel selbstgebastelte Binden, vor allem junge Mädchen. Eines von zehn kommt jedoch nicht einmal an alte Stofffetzen heran. Also basteln sie Binden aus allem, was sie finden: Zeitungen, Papier, Matratzen, Baumwolle, Gras, Lehm. Manchmal wird sogar auf Dünger oder Ziegenhaut zurückgegriffen.

Dabei gäbe es eine billige Alternative zu Binden: Menstruationstassen. Diese sind aufgrund der günstigen Öko-Bilanz im Westen vor allem bei umweltbewussten jungen Frauen beliebt. Die Tassen punkten auch damit, dass sie im Gegensatz zu Tampons keine bedenklichen Inhaltsstoffe haben. Tampons bestehen aus Zellulose, umhüllt von Kunststoffschicht, die zu Reizungen im Intimbereich führen können. Auf einer Nigeria-Reise hat Nadine Haumann bemerkt, wie „superwertvoll“ die Tassen sind. Also startete die Wahl-Wienerin einen privaten Spendenaufruf, um Flüchtlingsfrauen mit Menstruationstassen auszustatten. Ihre Erfahrung war aber eher entmutigend. „Muslimische Frauen führen sich sicher nichts ein“, lautete die Standardreaktion. Doch Haumann ließ sich nicht beirren und fuhr mit ihrem nigerianischen Freund und dessen Schwester in ein Flüchtlingscamp nahe der nigerischen Hauptstadt Abuja. Hier leben etwa 150 Frauen, die vor Boko Haram im Norden des Landes geflohen sind.

Tassen bevorzugt

„Die Frauen waren sehr offen und neugierig, das hat mich überrascht“, berichtet Haumann. 80 von 100 Frauen haben die von ihr mitgebrachten „Menstassen“ ausprobiert. Ein Pilotversuch, der in Kenia durchgeführt wurde, bestätigt die hohe Akzeptanz. Laut der Begleitstudie, die das „African Population and Health Research Center“ 2010 durchgeführt hat, bezeichneten 97 Prozent der teilnehmen Frauen die Tassen als „akzeptabel“. Aus einer Studie unter 105 südafrikanischen Frauen geht hervor, dass die Frauen aufgrund von Qualität und Tragekomfort Menstruationstassen gegenüber Tampons oder Binden bevorzugten.

Gibt es in Afrika ausreichend sauberes Wasser, um die Menstruationscups auswaschen zu können? „Nigeria besteht zu großen Teilen aus Regenwald, und Wasserknappheit ist hier kein Thema“, sagt Haumann, und warnt vor dem Klischee, Afrika bestehe nur aus Wüste und Steppe. Das soziale Start-up „Ruby Cup“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, Menstruationstassen in Entwicklungsländern an die Frau zu bringen. Auch sie arbeiten nur in Gegenden, in denen es Zugang zu sauberem Wasser gibt. 16.000 Stück hat das britische Unternehmen bisher in Ost- und Westafrika (Kenia, Uganda, Ghana, Tansania, Benin) und in Nepal verbreitet. Bei jedem Kauf eines Cups wird eine weitere an eine Frau in einem Entwicklungsland gespendet. Manche NGOs setzten auf auswaschbare und somit wiederverwertbare Binden – doch um Menstruationstassen auszuwaschen, benötigt man viel weniger Wasser, weshalb sich die Tassen für Regionen mit Wasserknappheit sehr gut eignen.

Auch auf Regierungsebene hat sich inzwischen etwas getan: Kenia hat 2011 die Steuern auf Binden und Tampons gesenkt, sie kosten nun um 18 Prozent weniger. Zudem gibt es Gratis-Binden an den Schulen – theoretisch. Denn der Zugang ist nicht immer gewährleistet, die Artikel werden in unregelmäßigen Abständen geliefert.

Einfacher wäre es, wenn jede Schülerin ihre eigene wiederverwertbare Menstruationstasse hätte. Doch bis dahin wird es wohl noch dauern. Denn dass Menstruationstassen hygienisch, praktisch und einfach anzuwenden sind, hat sich noch nicht einmal in Europa herumgesprochen. Und das, obwohl die Tassen hier seit den 1930er-Jahren in Verwendung sind.