Endstation Schlachthof

by Bettina Figl

Zwei Mal pro Jahr verbringt eine Sau mit ihren 12 bis 13 Ferkeln fünf Wochen auf vier Quadratmetern. Das Tier ist dabei an einem Bügel befestigt und kann sich nicht umdrehen. Instinktiv würde es ein Nest bauen. Doch dafür fehlt nicht nur der Platz, sondern auch das Stroh. Bis vor Kurzem mussten sogar trächtige Tiere in diesem „Kastenstand“ ausharren – seit zwei Jahren ist zumindest das verboten.

An diesem Artikel habe ich gemeinsam mit Petra Tempfer gearbeitet, er ist am 18.7.2014 in der „Wiener Zeitung“ erschienen. Ebenfalls interessant: „Allesfresser Mensch“ – Fehlt Veganern etwas? und Frutarier oder Flexitarier – alternative Ernährungsformen im Überblick.

Das Leben eines Ferkels ist ebenfalls beengt – und kurz: Nach den ersten vier Lebenswochen wird es von der Mutter getrennt, bis zu 12 Wochen lang teilt es sich eine 40 Quadratmeter große Box mit etwa 100 anderen Ferkeln. Sein Leben dauert maximal 200 Tage. Sobald das Jungtier 120 Kilo hat, wird es geschlachtet.

Jedes Jahr sterben in Österreich auf diese Weise 5 Millionen Schweine, in Deutschland sind es 60 Millionen. „Tiere für die Lebensmittelproduktion zu halten und zu töten, ist falsch“, sagt Philosophin Friederike Schmitz, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität in Berlin. „Früher war Fleischessen für viele Menschen überlebensnotwendig, heute können wir uns anders ernähren. Fleischessen lässt sich nicht mehr rechtfertigen.“

Auch dann nicht, wenn es bio ist. Die Argumente der Bio-Aufzucht, der größeren Bio-Ställe und des Bio-Futters lassen Schmitz kalt. „Dass die Tiere am Ende getötet werden, bleibt gleich. Gerade wenn sie ein schönes Leben hatten, wollen sie ja umso lieber weiterleben.“ In vielen Fällen seien die Tiere aber gar nicht so glücklich, wie es den Konsumenten vorgegaukelt werde. „Die Haltungsbedingungen sind minimal besser, es gibt außerdem zahlreiche Betrugsfälle. Man kann nie sicher sein, ob die Tiere tatsächlich ein besseres Leben hatten.“

Etwas anders sieht das Herwig Grimm, Professor für Ethik der Mensch-Tier-Beziehung am Messerli Forschungsinstitut an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Er sagt, konventionelle Nutztierhaltung und Bio-Landwirtschaft seien „an zwei unterschiedlichen Weltbildern orientiert“. Während sich Erstere mit ihren Bestrebungen nach mehr Produktion und Effizienz an etlichen Stellen in eine Sackgasse manövriert habe, verfolge bio einen anderen Ansatz, der in Kauf nehme, zugunsten tierlicher Bedürfnisse auch Abstriche zu machen. Dem natürlichen Verhaltensrepertoire der Tiere werde mehr Beachtung geschenkt.

„Schweinefleisch war noch nie so hochwertig, und die Schweinetierhaltung war noch nie so tierfreundlich wie heute“, sagt wiederum Johann Schlederer. Als Geschäftsführer der Österreichischen Schweinebörse ist er eine Art Logistiker der Schweineindustrie. Für ihn bedeutet hochwertig aber nicht gleichzeitig bio. Vielmehr zählt Schlederer nicht gerade zu den Befürwortern von Biofleisch und nähert sich damit Schmitz’ Standpunkt an – wenn auch aus komplett anderen Gründen: „Bio ist zwei- bis dreimal so teuer wie konventionelles Fleisch, weil der Landwirt das Futter selbst herstellen muss, keine Vollspaltböden und keine Gülle verwenden darf.“ Bio habe zwar seine Berechtigung, doch „Landwirte leben davon, sie wollen und müssen davon leben“, und: „Es geht auch um den Ertrag.“

Bio hin oder her – für Schmitz ist Veganismus „der einzig gangbare Weg“. Milchprodukte sind ihrer Ansicht nach ebenso abzulehnen wie Fleisch und Wurst, da die Tiere auch in der Milchproduktion nach fünf bis sechs Jahren getötet werden – wenn sie körperlich ausgelaugt sind. „Die Tiere sind komplett fertig. Sie mussten bis auf ein paar Wochen im Jahr durchgehend Milch geben, für den Körper ist das total belastend.“ Ihre Kälber wurden für Fleisch gemästet, die weiblichen teils wieder als Milchkühe genutzt. „Es ist alles ein System.“

Österreichweit ernähren sich zwar nur zehn Prozent der Menschen vegan oder vegetarisch, sie gelten aber schon lange nicht mehr als Körndl essende Sonderlinge. Kaum ein Gasthaus kann es sich noch leisten, ausschließlich Fleischgerichte anzubieten, im Gegenteil: Immer öfter sind vegane Gerichte – also Speisen, die ganz auf tierische Produkte verzichten – ausgewiesen.

Veganismus ist mehr als nur ein Ernährungsprinzip. Es ist ein Lifestyle: moralisch vertretbar und hip. Immer mehr Menschen beschäftigt die Frage, warum wir manche Tiere verhätscheln und wie ein Familienmitglied behandeln, während andere gequält und getötet werden – obwohl wir eigentlich auch auf andere Art und Weise satt werden könnten.

„Hier gibt es massive Widersprüche: Manche Tiere essen wir, die anderen streicheln wir. Man kann hier durchaus von einer Schizophrenie in der Mensch-Tier-Beziehung sprechen, wenn man die biologische Ähnlichkeit von Tieren und ihre ungleiche Behandlung in den Blick nimmt“, sagt dazu Grimm. „Eine Person, die ihren Hund verhätschelt und ohne Zögern ein Schnitzel isst, macht diese Widersprüche in der Mensch-Tier-Beziehung deutlich.“

Was unterscheidet einen Hund von einem Schwein, wo man doch weiß, dass beide über eine ähnliche Intelligenz und Empfindungsfähigkeit verfügen? „Kognitiv vermutlich nicht viel“, sagt Grimm. Schweine lassen sich ähnlich wie Hunde abrichten. Grimm, der selbst auch ausgebildeter Landwirt ist, berichtet von wühlenden, herum tollenden, sich rekelnden Schweinen in Freilandhaltung. Doch das Leben der meisten Schweine, die als Nutztiere gehalten werden, sei anders: Sie leben auf engstem Raum und stehen auf Spaltenböden. Selbst ihre Schlachtung verlaufe nicht immer ohne Stress und ohne Schmerzen.
Schmitz zufolge geht es vor allem um diese Empfindungs- und daher auch Leidensfähigkeit. Zu einer veganen Lebensweise gehört für sie „selbstverständlich dazu, nicht die Haut getöteter Rinder (Lederschuhe, Anm.) an den Füßen zu tragen“. Ledertaschen seien ebenfalls tabu. Mit der Straßenbahn fährt Schmitz aber trotzdem – obwohl dabei unzählige Insekten, die von der Bim erfasst werden, den Tod finden. „Insekten sind eine andere Kategorie“, sagt Schmitz, „sie empfinden wahrscheinlich weniger als Wirbeltiere. Rein pragmatisch gesehen kommt man um das Töten von Insekten nicht herum. Wenn größere Säugetiere zur Herstellung von Tierprodukten genutzt werden, leiden sie ganz offensichtlich.“

Anders sieht das freilich Schlederer, der für den Transport von den Landwirten zu den Schlachthöfen verantwortlich ist. „Ich beobachte die Tiere oft und hatte noch nie das Gefühl, dass ein Tier leidet“, sagt er, räumt aber ein: „Nutztierhaltung ist kein Streichelzoo.“ Im Schnitt verbringen die Schweine ein bis zwei Stunden im Transporter, von Oberösterreich nach Tirol kann es schon einmal länger dauern. 40 Prozent der Schweine kommen aus Oberösterreich, der Rest aus Niederösterreich und der Steiermark.

Laut Schlederer wird Schweinefleisch unter seinem Wert verkauft. Das habe mehrere Gründe: Einerseits seien Schweine nach den Hühnern die zweiteffizientesten Nutztiere. Zum Vergleich: Ein Rind wirft nur ein Kalb pro Jahr, und es muss eineinhalb Jahre alt werden, bis es geschlachtet wird. Andererseits gebe es seit dem EU-Beitritt fast ausschließlich große Schweinezüchter. Aufgrund von EU-Vorgaben mussten die Hausschlachtungen und regionalen Strukturen der Schlachthöfe aufgelöst werden. Die Zahl der Betriebe in Österreich ist laut Schlederer von 115.000 auf 25.000 geschrumpft. Zudem sei Schweinefleisch für die Supermärkte „Lockartikel Nummer eins“: Der Lebensmittelhandel verzichte bei 60 Prozent des Fleisches auf die Handelsspanne.

Geht es nach Schmitz, sollte sich niemand mehr locken lassen. Ganz im Gegenteil. „Die Gesellschaft sollte umdenken: Dass nicht Fleischessen normal ist und die vegane Ernährung extrem, sondern umgekehrt.“ Dass es schwierig ist, gesellschaftliche Normen umzukrempeln, ist freilich auch Schmitz bewusst. Ein erster Schritt wäre, sich aus der allgemeinen Resignation zu reißen. „Viele glauben, sie können ohnehin nichts gegen die riesigen Schlachthöfe tun, obwohl sie sie per se nicht gut finden. Die Menschen müssen sich endlich trauen, gegen die Industrie politisch aktiv zu werden.“

Wesentlich sei, die Interessen der Tiere ernster zu nehmen. Das Verhältnis zu Tieren müsse sich grundlegend ändern. Die vegane Lebensweise wäre dann nur ein Aspekt dieses Wandels.

Und dann? Angenommen, diese Botschaft der Veganer wird weltweit umgesetzt, und niemand isst mehr Tierprodukte. Könnte man die Weltbevölkerung ohne Fleisch ernähren? „Sogar besser“, antwortet Schmitz prompt. „Ein Drittel aller Ackerflächen wird global für den Anbau von Futtermitteln wie Soja oder Getreide verwendet. Die Menschen könnten das direkt essen – das wäre auch ressourcenschonender.“

„Wenn ich Tieren nicht schaden möchte, reicht es nicht, kein Fleisch und keine tierischen Produkte zu konsumieren“, entgegnet Grimm. Wird etwa ein Acker gepflügt, auf dem Gemüse angebaut werden soll, nimmt man in Kauf, dass eine große Zahl von Mäusen und andere Bodenbewohnern getötet werden.

Er spricht sich dafür aus, bei der Diskussion um bessere Haltungs- und Produktionsbedingungen die Landwirte ins Boot zu holen und mit ihnen Alternativen zu entwickeln. Die aktuellen Probleme der landwirtschaftlichen Tiernutzung dadurch lösen zu wollen, ganz auf sie zu verzichten, ist für ihn der falsche Weg und käme einer Bankrotterklärung gleich.