Mit Sauschädel ins Neue Jahr

by Bettina Figl

Fleischerei RinglErschienen in der „Wiener Zeitung“ am 31.12.2011

Die Fleischerei Ringl im 6. Wiener Gemeindebezirk ist ein Relikt aus einer anderen Zeit – Eine Reportage

Wien. „Ein Tipp für die Hausfrau: Einen guten Schinken erkennen Sie daran, dass jede Faser zu sehen ist. Und beim Aufschneiden zerfällt er.“ Was klingt, als wäre es aus einem 70er-Jahre-Kochbuch entnommen, empfiehlt Fleischereimeister Helmut Ringl seinen Kundinnen kurz vor dem Neuen Jahr 2012.

Die Fleischerei Ringl in der Gumpendorfer Straße 105 im 6. Wiener Bezirk wirkt wie aus einer anderen Zeit: Auf handgeschriebenen Schildern werden Selchwurst und Tafelspitz angepriesen, die Ringl-Töchter geben Auskunft, wie das Fleisch saftig wird, alles wird von Hand gemacht. „Hier riecht es noch nach Fleisch“, erklärt eine Kundin, warum sie ausgerechnet hier einkauft. Große Fleischereiketten sind ihr zu steril, sie erzählt amüsiert: „Ich habe mir gerade gedacht, dieses Lokal gehört in die Zeitung.“ Oder ins Museum; Presswurst, Einmachgläser und Capri Sonne erinnern nicht nur an Kindheitstage, sondern an den Greißler von nebenan. Doch alteingesessen ist nicht gleich altbacken: Hinter der Vitrine dampft der Leberkäse, das Sortiment reicht von Haselnuss über Kräuter bis hin zu Curry.

Von der Decke baumeln Würste in allen Größen und Formen – passend zu Silvester gibt es sie auch als Champagnerflaschen, Schweinchen und Rauchfangkehrer. Würste werden in dem Familienbetrieb ohne Mehl hergestellt, sie werden mit heißem Rauch durchgebraten und dadurch so gut wie ewig haltbar.

Die Tiere kommen von Waldviertler Kleinbauern

„Bei uns wird das Fleisch abgehängt statt abgepackt“, sagt Claudia Ringl. Das tote Tier kommt von Kleinbauern aus dem Waldviertel. „Die haben fünf Kühe im Stall, wenn es hoch kommt.“ Das Tier hängt vier bis fünf Wochen im Kühlraum, bevor es von den Ringl-Schwestern ausgelöst wird.

Claudia und ihre verschwiegenere Schwester Monika Ringl sind mit Fleisch aufgewachsen. „Das war unser Kinderzimmer“, lacht Claudia Ringl und deutet auf das Geschäftslokal. Ihr Vater hat es 1960 von seinem Vater übernommen, damals befand sich das Geschäft noch in der Webgasse. Seit zwei Jahren wird es schließlich von seinen Töchtern geführt, hinter der Theke stehen sie aber immer noch zu dritt. „In der Familie sind immer alle Fleischer gewesen“, erzählt Helmut Ringl.

Manche Menschen seien schon überrascht, dass sie eine Fleischhauerin ist, sagt Claudia Ringl – zumal es kaum Frauen in diesem Beruf gibt. Ab 5.30 Uhr steht sie im Geschäft, morgens und abends wird das Fleisch in seine Einzelteile zerlegt. Eine schweißtreibende Arbeit, denn ein Knöpfl – das Hinterteil eines Rindes – wiegt beispielsweise 60 bis 70 Kilogramm.

„Ich mache das wirklich gerne, ich könnte mir nichts anderes vorstellen“, sagt Claudia Ringl und betont, sie sei stolz darauf, eine Tradition weiterzuführen. Nicht minder stolz ist Vater Ringl, wenn er seinen Rollschinken herzeigt, der von einem Spagat zusammengehalten wird und nicht – wie im Supermarkt – von Gummi. „Ich habe das vor 50 Jahren so gemacht und mache es heute so.“ Neue Trends sehe er sich zwar gerne an, er bleibe dann aber doch lieber bei seinen alten Wiener Rezepten, denn „das Neue muss nicht besser sein“.

Doch wie passt die Fleischeslust zum Trend der gesundheitsbewussten, kalorienarmen Küche? Ist die Nachfrage nach magerem Fleisch besonders groß? „Wenn Sie einmal ein richtiges Fleisch probiert haben, wollen Sie kein mageres mehr“, sagt Claudia Ringl mit einem Lächeln. Sie rät ihren Kunden, das Fett auf jeden Fall mitzubraten und erst danach wegzuschneiden.

„Das Fleisch sieht aus wie Fleisch, mit viel Fett dran“

Auch Martin Berger kauft lieber bei den Ringls ein als in großen Fleischereiketten, denn „hier sieht das Fleisch noch aus wie Fleisch, mit viel Fett dran“, sagt der junge Oberösterreicher, packt seine Koteletts in seinen Fahrradkorb und radelt davon. Die Kundschaft ist so bunt wie das Angebot: Nachdem zwei Polizisten ihre Roast-Beef-Semmerln abgeholt haben, kauft eine blond gelockte Frau mit knallrot lackierten Fingernägeln Presswurst. Sulz ist leider aus. Eliane Jindra-Thiebaud ist Stammkundin: „Ich komme schon seit Jahren hierher. Die Qualität stimmt, es gibt Beratung, ganz anders als im Großkaufhaus.“

Außerdem wird nichts weggeschmissen: Aorta und Rinderherz, Wangerln, Knochen und Kutteln werden zu Hundesnacks verarbeitet. Andrea Hanacek kauft hier regelmäßig für ihren Rottweiler ein, der draußen wartet und prompt mit einem getrockneten Fleischstangerl belohnt wird. Außerdem ordert Hanacek eine Semmel „mit einem dicken Stück Zwetschgenleberkäse“.

Danach begleicht sie ihre Schulden vom letzten Mal, obwohl Claudia Ringl längst darauf vergessen hat, und verlässt das Geschäft. Zwischen den Jahren ist die Nachfrage nach einem guten Stück Fleisch groß, die Familie Ringl kann sich nicht über zu wenig Kundschaft beklagen. „Traditionell isst man zu Silvester Schweinskopf mit Kren, Sulz mit Schweinshaxerl oder Geselchtes. Halt alles aus Schwein, das bringt Glück“, erklärt Claudia Ringl.