Rückeroberung des Wassers
by Bettina Figl
Nancy Nowacek will die New Yorker mit einer temporären Fußgängerbrücke näher zum Wasser bringen. New York City hat eine 850 Kilometer lange Küste. Die Bronx ist der einzige Stadtteil, der sich auf US-amerikanischem Festland befindet. Und das Wasser wird oft als „sechster Bezirk“ bezeichnet. Tagtäglich pendeln tausende Menschen von einer Insel zur anderen – von Brooklyn, Queens oder Long Island nach Manhattan und zurück – und dennoch: Die New Yorker haben meist ein distanziertes Verhältnis zum Wasser.
Dieser Artikel ist am 4.10.2016 in der „Wiener Zeitung“ erschienen.
Kaum verwunderlich, sind doch die Ufer weitgehend privatisiert und öffentlicher Zugang zum Wasser ist rar. Zwar gibt es etwa am Valentino Pier im Stadtteil Red Hook in Brooklyn einen „öffentlichen“ Strand: Hier ist es der Bevölkerung gestattet, mit den Füßen im Wasser zu waten. Wer kajaken, rudern oder sich in einem Boot fortbewegen will, braucht dafür eine Bewilligung der Stadt. Schwimmen ist – aus Sicherheitsgründen, wie es heißt – untersagt.
Um die New Yorker wieder näher ans Wasser bringen, hat sich die Künstlerin Nancy Nowacek – selbst leidenschaftliche Schwimmerin – vorgenommen, eine temporäre, schwimmende Fußgängerbrücke zu installieren. Die vier Kilometer lange „Citizen Bridge“ („Brücke der Bürger“) soll den Stadtteil Red Hook einen Tag lang mit Governors Island verbinden.
Nowacek hat in den vergangenen fünf Jahren sieben verschiedene Prototypen getestet, derzeit arbeitet sie an ihrem achten Modell. Um Abfall zu reduzieren, verwendet sie für das aktuelle Modell sogenannte „Standard Floating Piers“: Sie entwickelt dafür eine Konstruktion, die schwimmende Elemente – eine Sperrholzplatte, Stahlplattform, Plastiktrommeln – zu einer stabilen Brücke zusammenhält.
Brücken-Trend in der Kunst
Derzeit lässt sich in der Kunstszene ein veritabler Trend zur Brücke beobachten, in den sich auch Nowaceks Projekt einreihen lässt: In Italien stürmten den Floating Pier des Künstler-Duos Christo und Jean-Claude mehr als eine Million Menschen, in New York City können Besucher in einem schwimmenden Community-Garten umsonst Kohl und Spargel ernten. Der Floating Food Forest Swale wurde von Eyebeam-Alumni Mary Mattingly konzipiert.
Nowacek arbeitet an dem gewaltigen Projekt, für das sie mit Seebauingenieuren und Architekten kooperiert, seit fünf Jahren. Ohne die Hilfe von mehr als 200 Freiwilligen wäre es nicht realisierbar gewesen, wie sie sagt.
„Teamarbeit ist ein besonderes Talent von Nancy Nowacek. Bei ihrem Projekt lernen Ingenieure und Künstler von einander“, sagt Laura Welzenbach, Kuratorin und Projektmanagerin bei Eyebeam, einem New Yorker Non-Profit-Studio an der Schnittstelle von Kunst und Technologie, das Nowacek seit 2014 mit einem umfassenden Artist-in-Residency-Programm unterstützt.
Die Idee zur „Citizen Bridge“ hatte Nowacek 2012: Als sie ihren Wohnsitz nach Red Hook verlegte, stolperte sie über einen Artikel von Walt Whitman: In diesem beschrieb der US-amerikanische Schriftseller, dass Governors Island im 19. Jahrhundert über eine Sandbank zu Fuß erreichbar war und Landwirte bei Ebbe ihre Kühe dorthin trieben. Daher soll auch der Name „Buttermilk Channel“ („Buttermilchkanal“), wie der Kanal bis heute bezeichnet wird, stammen: Angeblich scherzten die Bauern, die Strömungen sei so stark, dass die Milch der Kühe bei Flut zu Buttermilch werden würde.
Obwohl die „Citizen Bridge“ nur einen Tag lang stehen wird, sollen über mehrere Wochen Angel-, Bootbau- und Aquakulturkurse die New Yorker dem Wasser näherbringen – hinter dieser Idee steckt auch eine umweltpolitische Perspektive: „New York City ist eine sinkende Stadt“, sagt Nowacek. „Der Meeresspiegel hebt sich, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich das Wasser in der Stadt ausbreiten wird. Ich will, dass die New Yorker wieder eine Beziehung zum Wasser haben, sodass wir alle, trotz der unsicheren Umweltsituation, hier leben können.“
„New York ist von Wasser umgeben. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir mit dem Wasser leben wollen“, sagt Welzenbach. Die Eyebeam-Kuratorin weist sowohl auf die Symbolwirkung des Brückenbauens, als auf die Gefahren des Wassers hin: Als der Wirbelsturm Sandy 2012 über New York hinwegfegte, wurde der Eyebeam-Standort, der sich immer nahe des Wassers befunden hat, überflutet. „In letzter Minute konnten Freiwillige verhindern, dass unser über Jahrzehnte aufgebautes Medienarchiv verloren geht“, erzählt Welzenbach. Mit Projekten wie der „Citizen Bridge“ sei Eyebeam nun auf der Suche nach einer kreativen Auseinandersetzung mit der Umwelt.
Gegen die Einfachheit
Derzeit sind Nowaceks Arbeiten unter dem Titel „Easy is not a concept“ („Einfachheit ist kein Konzept“) in dem lichtdurchfluteten Eyebeam-Schauraum zu sehen. Ihre Installation „Body Coding“ überträgt Computercodes auf den Körper, bestimmte Positionen erkennt der Computer über eine Kamera als Codesprache.
Nowacek will dem Körper neue Bedeutungen zuschreiben – denn Einfachheit gehe oft auf Kosten der Effizienz: „Unsere Körper sind eine Art Ur-Wissen, über das wir verfügen. Wenn wir sie mit ihrer vollen Kapazität verwenden, erfahren wir mehr über die Welt und uns selbst. Doch wenn man Effizienz mehr Stellenwert einräumt als der Erfahrung, geht all dieses Wissen verloren. Unsere Körper geben uns so viele Möglichkeiten, uns zu bewegen, nicht nur auf die Art und Weise, auf die wir programmiert sind.“
Auch im Falle der „Citizen Bridge“ geht Nowacek nicht den einfachen Weg: Sie begann das Projekt ohne jegliche Vorerfahrung im Brücken- oder Schiffsbau, und der bürokratische Aufwand ist beachtlich, denn am Tag der Installation muss etwa der gesamte Schiffsverkehr umgeleitet werden. Um all das auf Schiene zu bringen, ist die Künstlerin mit dutzenden Ministerien im Gespräch.
Und auch die Kostenfrage ist noch ungeklärt: Zuletzt hat Nowacek mit einer Crowdfunding-Kampagne auf Kickstarter 25.000 Dollar eingenommen. Doch damit die Brücke an einem Tag im Jahr 2017 umgesetzt werden kann, ist sie auf weitere Sponsoren angewiesen. „Normalerweise erfordern große Infrastrukturprojekte wie dieses politischen Willen. In unserem Fall ist das Projekt ein Akt des Wohlwollens der Community“, sagt Nowacek und denkt schon an das nächste Projekt: „Braucht ihr vielleicht auch eine schwimmende Brücke in Wien?“