Superblocks: Wird Wien doch noch Barcelona?

by Bettina Figl

Das „Supergrätzl“ im 2. Bezirk kommt vorerst doch nicht. Die Grünen, die das Projekt zur Verkehrsberuhigung im Volkertviertel nach spanischem Vorbild initiiert haben, sind enttäuscht. In anderen Bezirken werden Bürger selbst aktiv. Dieser Artikel ist am 18.5.2021 in der „Wiener Zeitung“ erschienen.

Pensionisten, die im Schatten sitzen, ohne Abgase einzuatmen. Alleinerzieherinnen, die ihre Kinder zum Spielen vor die Haustüre schicken. Erstklässler, die ihren Schulweg allein beschreiten. Diese Utopie eines autofreien, grünen Grätzls war im Volkertviertel bereits zum Greifen nahe. Im Sommer 2021 hätten erste Maßnahmen zur Umgestaltung des Viertels zum verkehrsberuhigten „Supergrätzl“ starten sollen.

So hatte es Uschi Lichtenegger, bis vor kurzem grüne Bezirksvorsteherin im 2. Bezirk, geplant. Doch nach der Wien-Wahl wechselte die Leopoldstadt die Farbe und der neue rote Bezirksvorsteher Alexander Nikolai verschob das grüne Pilotprojekt auf unbekannte Zeit (die „Wiener Zeitung“ berichtete). Die Grünen zeigen für die Absage naturgemäß wenig Verständnis und sind verärgert, zumal sie von dem abgeblasenen Projekt angeblich aus der „Wiener Zeitung“ erfahren haben.

Die Grünen pochen auf Veröffentlichung der Studie

Die Leopoldstädter Grünen werfen Bezirksvorsteher Nikolai nun vor, er würde die Veröffentlichung der Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie, die im Auftrag der MA 18 erstellt wurde, verhindern.

„Diese Pilotstudie wurde mit Steuergeldern erstellt und ist kein Privateigentum, das in einer Schublade verschwinden kann, weil deren Ergebnisse dem Bezirksvorsteher nicht passen“, sagt Bernhard Seitz, stellvertretender grüner Bezirksvorsteher im 2. Bezirk, und betont: „Die Bürgerinnen und Bürger, die beim Straßenlabor 600 Vorschläge eingebracht haben, erwarten sich zu Recht Antworten.“

Das „Supergrätzl“ im Volkertviertel im 2. Bezirk war als Pilotprojekt geplant und sollte zur Modellregion für ganz Wien werden. Die Idee der „Superblocks“ stammt aus Barcelona, wo es inzwischen fast ein Dutzend solcher Wohnviertel gibt. Ein „Superblock“ umfasst ein etwa 400 mal 400 Meter großes Viertel, um das der Autoverkehr herumgeleitet wird. Poller, Einbahnen und Schleifen verhindern die Durchfahrt für Autos, für Einsatzfahrzeuge oder Anrainer sind zentrale Ecken des Viertels aber gut erreichbar. Auch in Städten wie London, Paris und Berlin gibt es Initiativen für Superblocks, in Berlin nennt man sie „Kietzblocks“.

Aus dem Büro des Bezirksvorstehers heißt es gegenüber der „Wiener Zeitung“, man wolle nicht Ergebnisse für ein Supergrätzl-Projekt präsentieren, das nicht umgesetzt wird, und in einer schriftlichen Stellungnahme schreibt der Bezirksvorsteher: „Die Aufwertung und Begrünung des Volkertviertels ist ein langfristiges, wichtiges Projekt, bei dem es in den letzten Jahren abseits des Supergrätzls bereits zahlreiche Maßnahmen gegeben hat.“

Als Beispiele für bereits umgesetzte Maßnahmen nennt Nikolai die Verkehrsberuhigung in der Fußgängerzone Lessinggasse, Einbahnumdrehungen und Baumpflanzungen. Daran wolle er weiterarbeiten und einzelne Maßnahmen aus dem Supergrätzl-Konzept umsetzen. Die Volkertstraße neben dem Gymnasium Lessinggasse ist für motorisierten Verkehr, bisher mit Ausnahme des Busses, bereits gesperrt. Nun soll auch der 5B über die Vereinsgasse umgeleitet werden.

„Beim Superblock-Modell war angedacht, den Bus nicht mehr direkt am Volkertmarkt vorbeizuführen, eine für mich unmögliche Variante mit negativen Auswirkungen auf den Markt und die Anrainerinnen und Anrainer“, sagt Nikolai. Für den Bezirksvorsteher haben, auch aus finanzieller Sicht, die Neugestaltungen des Pratersterns (ab Herbst) und der Praterstraße (in den nächsten Jahren) Priorität.

Die Grünen hingegen betonen, Lösungen für den Busverkehr hätten erst im Zuge der Bürgerbeteiligung erarbeitet werden sollen. Auch dass es am Geld gescheitert ist, wollen sie nicht glauben: „Das Argument, das Geld würde fehlen, ist hanebüchen“, sagt der stellvertretende Bezirksvorsteher Seitz.

Das Bezirksbudget sei für solche Projekte zwar nicht groß genug, aber: „Die Stadt Wien hat für genau solche Projekte den Fördertopf ‚lebenswerte Klimamusterstadt‘ ins Leben gerufen.“ Dieser ist mit 100 Millionen Euro für die laufende Legislaturperiode nicht gerade schlecht ausgestattet.

Auch Verkehrsplaner Ulrich Leth von der TU Wien, der an der Studie der MA 18 mitgearbeitet hat, sagt: „Die Superblocks basieren darauf, dass sie mit möglichst billigen, einfachen und temporären Maßnahmen umgesetzt werden können: In Barcelona hat man ein paar Blumentöpfe und Poller aufgestellt und den Boden bemalt.“

Die Grünen glauben, dass in Wahrheit die Angst um den Verlust von Parkraum hinter der Ablehnung des Bezirksvorstehers steckt, denn im Zuge der Umsetzung des „Supergrätzls“ wären etliche Parkplätze weggefallen. In den beiden Tiefgaragen um den Volkertmarkt befinden sich indes fast 1.000 Stellplätze, die von der öffentlichen Hand gefördert werden. Diese würden derzeit vor allem von Pendlern und nicht von Anrainern genutzt, meint Seitz. „Aufgrund der Tiefgaragen wäre das Volkertviertel natürlich ideal gewesen für ein Supergrätzl“, sagt Verkehrsplaner Leth, „aber wenn der 2. Bezirk nicht interessiert ist, dann eben nicht. In der Stadt poppen immer mehr neue Initiativen auf.“

Partizipativ: „Mei Meidling“ und „Super Lichental“

Einige Wiener nehmen die Umgestaltung ihres Grätzls selbst in die Hand: Während des ersten Lockdowns hat beispielsweise die Architektin Sigrid Mayer „Mei Meidling“ als partizipatives Klima-Grätzl-Projekt gestartet. Unter anderem sollen Straßen entsiegelt, Gründerzeithäuser mit einem „vertikalen Garten“ begrünt und das Viertel um den Meidlinger Markt zum „Superblock Untermeidling“ werden.

Im 9. Bezirk hat die Studentin Lena Dorner, die im Lichtental-Viertel aufgewachsen, weggezogen und wieder zurückgekehrt ist, das „Super Lichtental“ ins Leben gerufen. Die Bürgerinitiative steht noch ganz am Anfang und wird von der „Lokalen Agenda 21“, einem Verein zur Förderung von Bürgerbeteiligungsprozessen, der in mittlerweile zwölf Bezirken aktiv ist, unterstützt.

Zum Volkertviertel sagt Uschi Lichtenegger, ehemalige grüne Bezirksvorsteherin in der Leopoldtstadt: „Ich hoffe immer noch, dass das Supergrätzl kommt. Wir haben so viel Vorarbeit geleistet, jetzt müssten nur noch die Durchzugsstraßen geschlossen werden. Das wäre ein einfacher Schritt und keine Kostenfrage.“ Wird Wien doch noch Barcelona?