Verdrängte Nachteulen

by Bettina Figl

© Janine Schranz

© Janine Schranz

Durch das Wiener Prostitutionsgesetz hat sich der Straßenstrich an die Peripherie verlagert und ist für die Frauen unsicherer geworden. Erlaubniszonen und Sexboxen sind umstritten
Ihre Kollegin hatte gerade einen Kunden, also beugt sich Nati über das Bett, streift das Bettlaken zurecht und stellt das Gleitgel wieder auf seinen Platz. Sie ist Sexarbeiterin, einer ihrer Arbeitsplätze ist ein kleines Bordell in Penzing. In einem der drei Zimmer stellt sie einen Hocker zwischen gynäkologischen Stuhl und Himmelbett, vom Himmel baumeln Handschellen, und nimmt Platz. Früher wollte sie etwas mit Sport oder Kunst machen, doch nach der Lehre heuerte sie als Escort an. Sie sei „immer schon eine Nachteule gewesen“, erzählt die 31-Jährige. Inzwischen ist sie seit 11 Jahren im Geschäft, nach wie vor macht sie als Escort Hausbesuche, womit sie sich in einen legalen Graubereich begibt. Ans Aufhören denkt sie nicht, die Arbeit sei ein angenehmer Ausstieg aus dem Alltag, meint sie.

 

Dieser Artikel ist am 26.9.2014 in der „Wiener Zeitung“ erschienen.

Sie ist eine von 3700 angemeldeten Sexarbeiterinnen in Wien. Dass man sie im Stadtbild kaum noch wahrnimmt, liegt daran, dass Prostitution mit dem Wiener Prostitutionsgesetz 2011 in Wohngebieten verboten wurde. Damit hat die Stadt auf massive Bürgerproteste reagiert. Damals waren Anrainer in der Felberstraße mit Fackeln durch die Straße gezogen oder haben heißes Wasser aus dem Fenster geschüttet. Vor zwei Jahren arbeiteten in Wien noch 200 bis 300 Prostituierte auf dem Strich, inzwischen stehen die sie an der Peripherie und sind auf ein Grüppchen von maximal 40 Frauen geschrumpft.  Derzeit gibt es in Wien zwei legale Straßenstriche, einen in Floridsdorf und einen in Liesing: In der Brunner Straße im 23. Bezirk stehen beim Lokalaugenschein der „Wiener Zeitung“ etwa zwei Dutzend Frauen, ab und zu macht eine von ihnen mit einem kleinen Tanz auf sich aufmerksam.

Seit kurzem stehen Sexarbeiterinnen auch am äußersten Rand des 21. Bezirks in der Einzingergasse, gleich neben der Autobahnabfahrt Strebersdorf. Es sind maximal zehn Frauen, die vereinzelt zwischen Lkw stehen und den vorbeifahrenden Autos winken. Aufgrund fehlender Stundenhotels findet der Sex vermutlich im Auto oder in den Büschen statt. Es ist dunkel, außer einer Tankstelle gibt es weit und breit nichts, und seit 1. September dürfen die Frauen hier nur noch zwischen 22 und 6 Uhr stehen.

Beschwerden in Floridsdorf
„Das ist die beste Lösung für die Bürger, die naheliegende Berufsschule ist natürlich besonders schützenswürdig“, sagt Georg Papai, roter Bezirksvorsteher im 21. Bezirk. Zuvor gab es Beschwerden von Pendlern, die auf dem Weg zur S-Bahn von Freiern angesprochen wurden. Von „Frauen, die breitbeinig vom Gehsteig springen“, spricht der frühere FPÖ- und BZÖ-Politiker Hans Jörg Schimanek von der Kleinpartei Wiff („Wir für Floridsdorf“). Schimanek will Prostitution nur hinter geschlossenen Türen dulden und hat eine Unterschriftenliste für ein Verbot von Straßenprostitution ins Leben gerufen, laut Eigenangabe haben 5000 Menschen unterzeichnet.

„Die Anrainer werden ermutigt, Frauen zu fotografieren. Das ist diskriminierend und beleidigend, schadet der Atmosphäre und dem Geschäft“, sagt die Sozialarbeiterin Renate Blum von Lefö zu den Hetzkampagnen. Die Streetworker von Lefö sprechen ein- bis zweimal pro Woche mit Frauen, die auf der Straße arbeiten, jährlich führen sie 1700 Gespräche. Doch zu vielen Frauen, die auf der Straße arbeiteten, habe man seit der Einführung des neuen Gesetzes den Kontakt verloren.

Zwar arbeitete immer nur ein kleiner Teil der Frauen auf dem Straßenstrich, der Großteil der Sexarbeit findet aber illegal in Wohnungen oder in legalen Laufhäusern oder Bordellen statt. Bei Letzteren fließen bis zu 50 Prozent der Einnahmen an den Betreiber, im Laufhaus müssen sich die Frauen für mindestens eine Woche einmieten. Daher bevorzugen einige Frauen die Straße, da sie hier am unabhängigsten sind.

Um 40 Prozent mehr Notrufe
Für Blum oder auch die Soziologin Helga Amesberger (siehe Interview) hat die Verdrängung des Straßenstrichs dazu geführt, dass sich die Zahl der Arbeitsplätze vermindert und die Arbeitsbedingungen der Frauen verschlechtert haben. Während für die Frauen der Prater und das Stuwerviertel im 2. Bezirk unkompliziert mit der U-Bahn erreichbar war, sind sie nun von jemandem abhängig, der sie mit dem Auto an den Stadtrand bringt. Es gebe nun 40 Prozent mehr Notrufe aufgrund von gewaltvollen Übergriffen, sagt Christian Knappik. Der Sprecher des Forums Sexworker.at (einem von Sexarbeiterinnen betriebenen Internetforum) fährt Nacht für Nacht Notfallseinsätze und befürchtet, dass die Frauen in der Peripherie im Winter auch zu Niedrigstpreisen in die Autos steigen, da sie sich sonst nirgends aufwärmen können.

Dass hier Verbesserungen nötig sind, ist auch den Verantwortlichen der Stadt bewusst. „Die Situation ist für die Frauen extrem unangenehm, es gibt viel zu wenige sichere Bereiche, da gibt es nichts schönzureden“, sagt Birgit Hebein von den Wiener Grünen. In welcher Form Infrastruktur nötig sei, soll in der aus Vertretern der Stadt, NGOs und der Polizei bestehenden Steuerungsgruppe besprochen werden, die die Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes seit Einführung beobachtet.Sicherheit durch Sexboxen?
Beim nächsten Treffen sollen die Sexboxen diskutiert werden: Diese ähneln vom Aussehen einer Waschanlage und sind mit einem Holzverschlag umgeben. Hier wird das Auto geparkt, während die Frau mit ihrem Kunden Sex hat. Die Boxen sind mit Notfallstaste und Sanitäranlagen ausgestattet und es gibt sie in europäischen Städten wie Zürich. Doch die Sexarbeiterinnen befürchten, dass die Boxen nur zu einer weiteren Unsichtbarmachung beitragen, in dem sie weit außerhalb des Stadtzentrums platziert würden und damit erst nicht sicher wären.

Wichtiger ist ihnen ein Platz zum Waschen und Aufwärmen. In Zürich gibt es Busse, in denen Prostituierte Kaffee trinken, mit Sozialarbeitern sprechen oder Kondome holen können. „Das würden wir uns sehr wünschen“, so Blum. „Wichtig wären aber auch Erlaubniszonen innerhalb der Stadt.“ Über diese wird in der Steuerungsgruppe wohl weiter diskutiert werden. Denn das Gesetz erlaubt, bestimmte Zonen im Wohngebiet zu schaffen – doch dazu braucht es die Einwilligung des Bezirks, und hier gibt es noch große Widerstände.

Das „Huren-Stigma“
Hebein will die Anbahnung vor kleinen Stundenhotels wieder genehmigen oder den Gürtel zur Erlaubniszone erklären. Doch für die zuständige Stadträtin Sandra Frauenberger ist es keine Option, zum alten System zurückzukehren, denn Ziel des Gesetzes sei gewesen, eine klare Regelung zu schaffen. Dass das Geschäft abseits des Straßenstrichs eher schleppend ist, weiß Sarah zu berichten. Sie hat sich um 350 Euro in ein Laufhaus im 22. Bezirk eingemietet. Im Eingangsbereich hängen Bilder von 24 Frauen in Dessous. Jede von ihnen sitzt in ihrem Zimmer und wartet auf Kundenschaft, der Preis wird direkt ausgemacht.

In Wien sei die Bezahlung schlecht, klagt die 26-jährige Rumänin, anderswo verdiene man doppelt so viel. Die Dumping-Preise liegen wohl an der hohen Konkurrenz, denn in den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der registrierten Prostituierten fast verfünffacht. Vor drei Jahren kam Sarah mit einem Freund nach Deutschland, um als Sexarbeiterin tätig zu sein. Als er beim Geschäft mitschneiden wollte, hat sie ihn angezeigt, nun arbeitet sie autonom. Mit dem Job könne man schnelles Geld verdienen. Mittlerweile hat sie ein Haus gebaut, ihrem Bruder ein Auto geschenkt. Doch sie will zurück zu ihrer Familie und ihr Chemiestudium abschließen, deshalb soll spätestens in drei Jahren Schluss sein.

Am Montag war sie bei der Gesundenuntersuchung, erzählt sie, wie alle registrierten Prostituierten muss sie sich einmal pro Woche auf Geschlechtskrankheiten durchchecken lassen. Österreich ist das einzige EU-Land neben Griechenland, das die Frauen zu Untersuchungen verpflichtet, die hohe Frequenz wird stark kritisiert. Hier brauche es eine bundesweite, neue Regelung, heißt es seitens der Stadträtin. Die vielen kleinen Regelungen bei der Sexarbeit sollten sich zu einem „großen Ganzen“ fügen, heißt es.

Doch rechtliche Änderungen reichen nicht aus, um Verletzungen der Rechte der Frauen zu verhindern. Stigmatisierung und Kriminalisierung erschwert ihnen das Leben, indem sie mit einem einschlägigen Gehaltszettel keine Wohnung finden oder ihr Job Obsorgeentscheidungen negativ beeinflusst.
Buchtipps:
Melissa Gira Grant: „Hure Spielen. Die Arbeit der Sexarbeit.“ Nautilus Flugschrift, 2014.
Gail Pheterson: „Huren-Stigma. Wie man aus Frauen Huren macht.“ Galgenberg Verlag, 1990.