Blut ohne Schweiß und Tränen
by Bettina Figl
Auf den Spuren einer uralten Spezialität, der Blutwurst
Rüssel, Backerl, Schwarten: Fritz Holzer wirft alles in den Fleischwolf aus Edelstahl, der den zerlegten Schweinskopf zu einer breiigen Masse vermengt. Die Maschine ist so laut, dass der Fleischer sein eigenes Wort nicht versteht. Viel zu reden gibt es ohnehin nicht. Wenn er und sein junger Kollege Blutwurst herstellen, sind sie ein eingespieltes Team. Sie kippen den Sack mit Kräutern in die Maschine aus Edelstahl, der würzige Duft schießt in die Nase. Schließlich schütten die beiden kübelweise knallrotes frisches Blut – die Schweine wurden am Vorabend abgestochen – dazu. Der Fleischer drückt auf den Knopf, die Maschine beginnt zu mahlen und vermengt das Ganze zu einer blutigen Masse.
Dieser Artikel ist am 24.10.2013 erschienen und im Original hier nachzulesen und nachzuhören.
Blut spritzt und Fleisch klebt an den Schuhsohlen
Wir befinden uns in der über 100 Jahre alten Fleischerei Hofmann in Holla-brunn im Weinviertel. Doch alt und verstaubt ist es hier wahrlich nicht – eher klinisch sauber: Die Männer tragen Kittel, Haarnetz und Gummistiefel, ihre Hände sind desinfiziert. Nur vereinzelt erinnern Blutspritzer und Fleischstücke, die an den Schuhsohlen kleben bleiben, daran, dass hier totes Tier verarbeitet wird.
Die Schweine kommen von einem Bauern in der unmittelbaren Nähe. Aber jetzt ist keine Zeit für lange Erklärungen, denn wenn Blut zu lange steht, stockt es. Alles muss schnell gehen und dennoch verrichten die Männer ihre Arbeit in geradezu stoischer Ruhe – ganz ohne Schweiß und Tränen. Nur etwa fünfzehn Minuten dauert es, bis die Fleischmasse in Schweinedärme gefüllt und die Blunz’n auf Eisenstangen gehängt wird, bevor sie gekocht wird.
Die Blutwurst gilt als eine der ältesten Wurstsorten, seit Jahrtausenden stellen Menschen aus Blut Wurst her. Bereits in der Antike hat man sie verzehrt: „Ziegenmägen liegen im Feuer, die wir zum Nachtmahl hingelegt, nachdem mit Fett und mit Blut wir sie füllten“, heißt es im 18. Buch von Homers „Odyssee“. In Sparta haben die Krieger nichts anderes gegessen als Wurst aus Blut, Speck und Zwiebeln – die Legende besagt, das sollte sie unbesiegbar machen. Ihren Durchbruch hatte die Blutwurst im Mittelalter, zu dieser Zeit wurde sie wegen ihrer Verbindung zu heidnischen Bräuchen aber auch immer wieder verboten.
Blutwurst steht wieder häufiger auf dem Speiseplan der Österreicher.
Vom Arme-Leute-Essen zum In-Produkt
Einst war sie ein Arme-Leute-Essen: Wenn das Hausschwein – üblicherweise im Herbst – geschlachtet wurde, vergeudeten die Bauern keinen Tropfen Blut. Heute wird bei weitem nicht das ganze Blut eines Schweins verwendet – das würde wohl die Nachfrage übersteigen – doch in letzter Zeit ist sie wieder salonfähig geworden: Immer mehr Wirte tischen heute Blutwurst oder Innereien auf. In vielen Wiener Gasthäusern ist die Franz Hofmann, Besitzer besagter Fleischerei in Niederösterreich, macht wöchentlich aus 100 Litern Blut 300 bis 400 Kilo Wurst. Er merkt die wachsende Nachfrage: „In den vergangenen fünf Jahren ist der Verkauf um circa 20 Prozent gestiegen“, schätzt er. Zahlen aus dem Lebensmittelministerium belegen den wachsenden Appetit auf Blutwurst, die Nachfrage nach Fleisch steigt ebenfalls, aber weniger stark. Die Fleischskandale der vergangenen Jahre hätten dazu beigetragen, dass Menschen vermehrt auf Qualität und Nachhaltigkeit beim Fleischkauf achten, sagt Hofmann.
Die Neuentdeckung des „Urigen“
Vom Arme-Leute-Essen zum Gourmetschmaus: Auf den ersten Blick haben Schnecken, Krebse und Blunz’n wenig gemein, doch bei genauerer Betrachtung erfreuen sich all diese Speisen wieder größerer Beliebtheit, und zwar bei gänzlich anderen Zielgruppen als früher. Martina Kaller, Professorin für Globalgeschichte an der Universität Wien, hält das Comeback von Hirn, Blunz’n und Backerl für ein „Bobo-Phänomen“, wodurch Klassengrenzen wieder rigider gezogen werden und führt den Widerspruch vor Augen: „Die Pizzaschnitte wird verpönt, aber das Bratlfett zelebriert.“
Weiderind und Bio-Händel landen freilich vornehmlich im Einkaufswagen derer, die es sich leisten können und wollen. Das bemerkt auch Hofmann: „Der eine kauft nur Billigfleisch, der andere kauft ein Qualitätsprodukt.“ Egal ob er Blutwurst oder andere Fleisch- und Wurstprodukte herstellt: Hofmann bezieht das Fleisch seit Jahrzehnten bei denselben Bauern aus der unmittelbaren Region. Nur so kann er sicher sein, welches Futter die Tiere bekommen und in welchen Stallungen sie gehalten werden. Immer wieder haben die Hofmanns überlegt, auf Bio umzusteigen. Doch dafür sei die Nachfrage zu gering, und das Schweinefleisch wäre doppelt so teuer.
Vielleicht hat die steigende Fleischeslust auch damit zu tun, dass rotes Fleisch nicht mehr auf der roten Liste von Ernährungsexperten steht. Im Gegenteil: Die Low-Carb-Diäten verbannen Kohlenhydrate und setzen auf Eiweiß. Und Menschen, die unter Anämie leiden, wird der Verzehr von rotem Fleisch und Blutwurst sogar nahegelegt. Bei der im Volksmund „Blutarmut“ genannten Krankheit werden zu wenige rote Blutkörperchen gebildet.
Andrea Hofbauer, Präsidentin des Verbands der Diätologen Österreichs, empfiehlt allerdings, Blutwurst in Maßen zu genießen, und Menschen, die unter Diabetes oder Fettstoffwechselproblemen leiden, sollten generell die Finger davon lassen. „Bei einem gesunden Stoffwechsel spricht nichts dagegen, aber maximal einmal im Monat“, lautet der Ratschlag der Diätologin. Für Kalorienbewusste ist die Blunz’n allerdings nichts: Mit 100 Gramm Blutwurst wird ein Drittel des Tagesbedarfs an Fett einer Frau abgedeckt.
Wie ernährt sich eigentlich ein Fleischer? „Der Tag beginnt oft mit Leberkäse“, sagt Hofmann mit einem breiten Grinsen im Gesicht. „Grundsätzlich esse ich alles. Und am liebsten Fleisch und Wurst.“
Damit ist er in Österreich in guter Gesellschaft: Im Schnitt isst jeder Österreicher dreimal pro Woche Fleisch, auf das Jahr gerechnet sind das 66 Kilogramm pro Kopf. Ob Österreichs fleischlastige Küche auf den Gusto der Austro-Fleischtiger reagiert oder umgekehrt, ist ein Henne-Ei-Phänomen. Und jeder Vegetarier kann bestätigen, dass das ewig gleiche fleischlose Gastro-Angebot – die Spannweite zwischen Spinatstrudel oder Käsespätzle ist recht eng – mitunter den Appetit verdirbt. Aber es könnte auch schlimmer kommen: Einige Wirte sind der Ansicht, Pute und Hendel seien vegetarisch – im Vergleich zu Blunz’n eigentlich ein berechtigter Einwand.