„Ich werde niemals zulassen, dass du als Schwuler lebst“

by Bettina Figl

DnDh7EZW4AAZAeK.jpg-largeDa ihm sein Bruder mit Mord drohte, suchte Sami vor einem Jahr um Asyl an.
Bis vor wenigen Jahren führte Sami (Name von der Redaktion geändert, Anm.) ein Doppelleben. Als ihn seine Familie fragte, warum er keine Freundin habe, log er, ihm fehle die Zeit. Dabei hatte er immer wieder Liebesbeziehungen mit Männern, im Geheimen. „Es war ein Leben in ständiger Angst“, erzählt Sami heute. Wir treffen den jungen Mann mit dem fein säuberlich getrimmten Bart in einem Kaffeehaus, wo er den ersten Radler seines Lebens trinkt – und zur Hälfte stehen lässt, weil ihm das Biermischgetränk zu süß schmeckt.
Dieser Artikel ist am 15.9.2018 in der „Wiener Zeitung“ erschienen.

Aufgrund seiner Homosexualität erhielt der 26-Jährige in Österreich Asyl, im Zuge des Umsiedlungsprogrammes des UNHCR, dem Flüchtlingstribunal der Vereinten Nationen, kam er nach Wien (das Programm ist 2017 ausgelaufen und wird aufgrund eines fehlendes Beschlusses der Bundesregierung nicht weiter geführt). Seit einem Jahr lebt Sami in einer Einzimmerwohnung am Wiener Stadtrand.

Anders als den meisten LGBTIQ (Lesbian, Gay, Bisexual, Trans, Intersex, Queer)-Flüchtlinge, die nach Österreich kommen, wurde Sami also bereits Asyl zugesprochen, bevor er in das Land eingereist war. Er wurde von UNHCR-Mitarbeitern zu seinen Fluchtgründen befragt.

Als Sami in den Medien von jenem Fall erfuhr, in dem einem 18-jährigen Afghanen Asyl in Österreich verwehrt wurde, weil der zuständige Beamte im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl das Verhalten für einen Schwulen für „untypisch“ hielt, war er geschockt. „Weder Ihr Gang, Ihr Gehabe oder Ihre Bekleidung haben auch nur annähernd darauf hingedeutet, dass Sie homosexuell sein könnten“, heißt es in dem Papier, aus dem die Wochenzeitung „Falter“ zitierte. Sami sagt dazu: „In Syrien, und noch viel mehr im Irak oder Afghanistan, lernt man, im Geheimen schwul zu sein. Wir werden uns nie so offen und frei fühlen wie jemand, der im Westen von liberalen Eltern erzogen wurde. Zu sagen, dass man schwul ist, ist ungefähr das letzte, was man sich als Fluchtgrund ausdenken würde. In Afghanistan ist es ja schon ein Problem, wenn man als Mann eine unverheiratete Frau trifft.“

Vom Dach in den Tod gestoßen

In Syrien werden Homosexuelle verfolgt. Im Artikel 520 des Strafgesetzbuches von 1949 wird Homosexualität als „widernatürlich“ bezeichnet; homosexuelle Handlungen werden mit einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren geahndet. Als IS-Milizen Ende 2013 die Stadt Rakka im Osten des Landes besetzten, verschlimmerte sich die Lage: Homosexuelle wurden hingerichtet, indem sie von den Dächern hoher Häuser gestoßen wurden. Oft werden Lesben und Schwule auch von der eigenen Familie verfolgt. So war es auch bei Sami, der als eines von sieben Kindern in einer Familie aufwuchs, die er als „nicht religiös, aber konservativ“ beschreibt. Zuletzt lebte die Familie in Alwaar, jenem Stadtteil von Homs, der als Zentrum des Protests gegen das Assad-Regime galt. Seine Familie unterstützte die Revolution und setzte sich gegen das Regime von Diktator Bashar al Assad ein. 2011 wurde Samis älterer Bruder erschossen.

Von Damaskus nach Ankara

Als die Assad-Truppen gegen die Rebellen kämpften, saß die Familie eineinhalb Jahre in Homs fest. „Wir hatten so wenig zu essen, dass wir die Oliven zählten“, erzählt Sami. 2012 gelang es ihm, nach Damaskus zu entkommen. Dort wollte er sein Studium der Betriebswirtschaft wieder aufnehmen. Doch in der Stadt herrschte Chaos, ans Studieren war nicht zu denken. Also machte er sich auf den Weg: Über Beirut nach Istanbul, wo bereits einer seiner Brüder lebte. Im Jahr 2014, kam Sami nach Ankara, wo sein Studium auf Englisch angeboten wurde.

In der Türkei wollte er seine Homosexualität freier ausleben – doch bald musste er feststellen, dass auch hier Toleranz sehr schnell endet: Bei der Pride-Parade, die während des Fastenmonats Ramadan stattfand, ging die türkische Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas gegen die friedlichen Demonstranten vor.

Seine Beziehung zu einem Mann, der ihn von Zeit zu Zeit besuchte, hielt er weiterhin geheim, da er in einem konservativen Stadtteil lebte. Dennoch erfuhr seine Familie eines Tages davon, sein Mitbewohner hatte ihn verraten. Die Eltern, die immer noch in Syrien leben, brachen daraufhin sofort den Kontakt ab. Sein Bruder in Istanbul rief ihn an und brüllte voller Zorn ins Telefon: „Ich werde niemals zulassen, dass du als Schwuler lebst. Ich habe keinen schwulen Bruder.“ Und: „Du hast Schande über die Familie gebracht.“

Sami fühlte sich in seiner WG nicht mehr sicher, wollte ausziehen. Er hatte Angst, dass ihm seine Familie – oder ein Auftragskiller – etwas antun würde.

Flucht vor der eigenen Familie

Auch mit seinem homophoben Mitbewohner wollte er nicht mehr leben, also bewarb er sich um einen neuen WG-Platz, was zu einem weiteren traumatischen Erlebnis führte: Während der Besichtigung des WG-Zimmers wurde er vom Vermieter, der ihm körperlich überlegen war, vergewaltigt. Sami vertraute sich einer Freundin an und erfuhr von dem Umsiedlungsprogramm des UNHCR, wo er um Asyl ansuchte. Man gab ihm die Wahl: Norwegen oder Österreich?

„Norwegen ist dunkel und langweilig, außerdem bin ich ein sozialer Mensch – mir fiel die Wahl nicht schwer“, scherzt Sami. Sofort begann er, alles über die österreichische Kultur und Geschichte zu lesen, was er in die Finger bekam. „Ich wusste, dass Österreich eines Tages meine Heimat sein wird“, sagt er. Doch auch ein Jahr nach seiner Ankunft wollen sich die Heimatgefühle noch nicht so recht einstellen.

„Es ist nicht wie in Österreich“

Samis Wunsch war es, in Wien mit Österreichern zu leben, um rasch Deutsch zu lernen. Doch die einzige Wohnung, die er sich leisten konnte, befand sich in einer Flüchtlingssiedlung am Wiener Stadtrand. Für diese bezahlt er etwa 250 Euro pro Monat, seine Nachbarn kommen aus Syrien und afrikanischen Ländern, er hört kein deutsches Wort. „Es fühlt sich nicht an, als wäre ich in Österreich“, erzählt Sami, doch es sei immerhin besser als im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen, wo er sich ein Zimmer mit zwölf Männern aus Afghanistan, Syrien und Jemen teilen musste. Als er dort einem Polizeibeamten seinen Fluchtgrund nannte, entgegnete dieser verdutzt: „Sie sind der erste, der das hier so offen zugibt.“ Weil Homophobie und Gewalt gegen schwule und lesbische Flüchtlinge in Heimen und Erstaufnahmezentren zum Alltag gehört, gibt es in Berlin seit 2016 ein eigenes Heim für homosexuelle Flüchtlinge. In Wien vermittelt die Organisation „Queer Base“ gemeinsam mit der Diakonie Wohngemeinschaften für LGBTIQ-Flüchtlinge – doch die Wartelisten für einen WG-Platz sind lang.

Österreich sei mehr, als er sich je erträumt hat, sagt Sami: Er liebe die klassische Musik, die Natur, die Süßspeisen. Seine bisher schönsten Erlebnisse waren ein Ausflug an den Wolfgangsee – und als er das erste Mal in der Öffentlichkeit die Hand eines Mannes hielt, ohne Angst zu haben.

Manchmal geht er in Schwulenbars oder lernt Männer via Dating-App kennen. Doch innerhalb der Flüchtlingscommunity sei es schwierig, als Homosexueller offen zu leben, erzählt Sami: Zwar bekomme er manchmal Männerbesuch, doch vor den Augen seiner syrischen Nachbarn einen Mann zu küssen sei undenkbar.

Sein Alltag in Wien spielt sich zwischen Fitnesscenter und Deutschkurs auf B2-Niveau ab. Sein Englisch ist sehr gut, doch er will Deutsch auf C1-Levell schaffen und sein Studium der Betriebswirtschaft, das er in seiner Heimat begonnen hat, an der Wirtschaftsuniversität Wien beenden. Er träumt davon, später in einer internationalen Organisation zu arbeiten.

Dass es auch in Österreich Homophobie gibt, überrascht ihn. Im Falle des jungen Afghanen hatte der zuständige Beamte infrage gestellt, dass man sich in Afghanistan bereits im Alter von zwölf Jahren für Männer interessiert: „Ihre behaupteten homosexuellen Gefühle im Alter von bereits zwölf Jahren können nicht nachvollzogen werden, da das der Behörde recht früh erscheint. In einer wenig sexuellen Gesellschaft wie der afghanischen, in der es in der Öffentlichkeit keine sexuellen Reize durch Mode und Werbung gibt, ist es nicht sehr wahrscheinlich, bereits so früh ‚sexualisiert‘ zu werden.“ Der Bescheid endet laut „Falter“ mit dem Satz: „Sie sind nicht homosexuell und haben daher bei Ihrer Rückkehr nach Afghanistan nichts zu befürchten.“

Wie prüft man Homosexualität?

Sami staunt darüber und sagt, er wusste schon im Alter von drei oder vier Jahren, dass er auf Männer steht: „Ich hatte immer nur Augen für Männer.“ Doch wie können Beamte im Asylprozess prüfen, ob jemand schwul ist? „Die Grenze dessen, was zulässig ist und was nicht, ist schwimmend. Mitunter wird nach konkreten Sexualpraktiken gefragt – das ist an sich schon unzulässig, da dies nicht mit der Menschenwürde vereinbar ist. Doch die Nachfrage, ob Analsex denn nicht schmerzhaft sei, ist absolut untragbar“, sagt Ralph Guth, Rechtsberater der „Queer Base“.

Verhält es sich hier wie mit dem ebenfalls schwierig zu erbringenden Nachweis, ob jemand tatsächlich Christ ist, und deshalb verfolgt wird? „Man kann in den Menschen nicht hineinschauen, aber das ist schon die einzige Parallele, die ich hier sehe“, sagt Guth. „Die sexuelle Orientierung wirkt in ganz andere Lebensbereiche hinein als die Religion: Partnerschaft, Familienwunsch, Lebensführung. In den allermeisten Fällen werden Lesben und Schwule von der eigenen Familie verfolgt. Wenn der eigene Vater versucht, dich umzubringen, ist das eine Traumadimension, die den meisten Menschen nicht bewusst wird.“ Er wünscht sich hier bessere Schulungen der Beamten. Auf Nachfrage verweist das Innenministerium auf „zahlreiche Schulungsmaßnahmen und Workshops“ und betont, dass im Bereich LGBTIQ gemeinsam mit dem UNHCR eine weiterführende Schulung in Planung sei. „Die meisten Flüchtlinge kamen im Jahr 2015 – das kommt jetzt ein bisschen spät“, sagt Guth dazu.

Sami wurde in der Türkei von einem UNHCR-Mitarbeiter vor Österreich gewarnt: Ob er denn wisse, dass die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren hier nach wie vor nicht erlaubt ist? Er blieb unbeirrt: „Ich wusste, dass das in Österreich auch bald legal sein wird.“ Er sollte recht behalten: Ab 1. Jänner 2019 soll auch die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern möglich sein.

Information
In der Queer Base finden regelmäßige Beratungen statt, an die sich alle mit Fragen zum Thema Asyl und LGBTIQ wenden können.